Loewenstern
Hakodates, des größten Hafens der Nordinsel, und wurde so reich, daß der Fürst von Matsumai bei ihm in der Kreide stand – und ihm trotzdem nie die Ehre eines Besuchs erwies, obwohl Kahei eigens dafür einen Palast gebaut hatte. Denn als Kaufmann rangierte er noch unter den Bauern und mußte sich durch persönliche Kultur schadlos halten. Aber er blieb der Fischersohn und schickte keine Flotte aus, ohne selbst Hand anzulegen.
Jetzt hatte er vor Wintereinbruch die letzte Fischernte von Etorofu einbringen wollen und fand sich plötzlich als Gefangenen auf einem russischen Schiff. Er nahm es so gefaßt wie ein Erdbeben und erklärte sich mit seiner Versetzung nach Kamtschatka einverstanden – zu
seinen
Bedingungen, und Rikord ließ sich darauf ein. Denn Kahei verdankte er eine Nachricht, auf die er sehnlichst gewartet hatte: die Russen waren noch am Leben! Natürlich war die Kunde von ihrer Gefangennahme in den hintersten Winkel des Landes gedrungen, und der erste Name auf Kaheis Liste war Moor. Wo aber blieb Golownin?
Es dauerte einige Tage auf hoher See, bevor ihn Rikord in Kaheis Mund wiedererkannte: «Hobōrin». Ja doch: das war der Übergroße, allzeit Düstere, der kaum sprach und nicht einmal rauchte. Und die Erleichterung Rikords verband sich mit der Sorge des Freundes: Golownin mußte leiden. Aber er lebte!
In Petropawlowsk kamen sie als Ebenbürtige an; für die Einheimischen freilich blieben Kahei und seine Leute nichts weiter als gefangene Äffchen. Darum verließen sie das steinerne Haus nicht mehr, das «Admiralität» genannt wurde. Sie wunderten sich über die durchsichtigen Fenster, die nie geöffnet wurden; den immer glühenden Kanonenofen, den summenden Samowar. Im Raum, der ihnen zugeteilt wurde, richteten sie sich nach der Sitte ihres Landes ein und betrieben auch eine japanesische Küche. Dabei blieben sie wachsam und kampfbereit. Kahei machte sich auf den Fall gefaßt, daß ihre Immunität nicht respektiert wurde; dann mußten sie, bevor sie in Würde starben, die Stadt anzünden und das Pulvermagazin in die Luft sprengen.
Aber so lange wie möglich lag Kahei daran, seinem Gefolge Verletzungen ebenso zu ersparen wie Demütigungen. Daß sie darum lieber gar nicht mehr nach draußen gingen, bekam ihrer Gesundheit nicht, und sie begannen zu kränkeln. Sie genossen Schutz, solange Rikord nach dem Rechten sah. Aber dieser mußte nach Ochotsk, um mit seinen Behörden den Austausch der Geiseln zu beraten, und hatte kaum den Rücken gekehrt, als Rudakow, sein Stellvertreter, die Japanesen nach Noten zu schikanieren begann. Er war bescheidener Herkunft und pochte um so mehr auf seine militärische Autorität.
Aber nun begegnete er einem Mann von wirklichem Rang. Kahei lud ihn zu seinem japanesischen Neujahrsfest ein, das er sich viel kosten ließ. Rudakow trank keinen Tropfen, und doch begann sich in ihm etwas zu rühren. Unversehens sah er Kahei an wie ein verwundetes Tier. Sagen Sie selbst, fragte er, welche Chance hat ein Mensch wie ich? – Sie erinnern mich an meinen jungen Bruder, antwortete Kahei, er ist nicht so begabt wie Sie, und darum noch härter mit sich selbst. Ich habe ihm gesagt: Bruder, mach dein Herz weit! Was dir fehlt, ist ein weites Herz! – Dazu öffnete Kahei das Kleid über der Brust, und Rudakow brach in Tränen aus. Zum ersten Mal war er ein Kind, das weinen durfte.
Wurde Rikord nicht Gouverneur von Kamtschatka? fragte ich.
Ja, sagte Nadeschda, das erfuhr er bei seiner Reise nach Ochotsk. Für Rikord war es ein Opfer. Er brachte es für Golownin. Nur so konnte er etwas für ihn tun, denn Rußland war gelähmt. Der Kommandant von Ochotsk gratulierte ihm, er war eine Frohnatur, bestand darauf, ihn persönlich ins Amt einzuführen, und nahm seine ganze Familie mit: eine Schlittenpartie nach Petropawlowsk, während Rikord auf Kohlen saß – von Kahei gar nicht zu reden. Jede Nacht ging er vor die Tür und erwartete seinen Freund. Endlich hörte er die Glöcklein klingeln – man hört sie meilenweit, die Nacht in Kamtschatka ist still wie das Grab. Aber seine wahre Prüfung begann erst mit den neuen Gästen. Das Gouverneurstöchterchen mußte dem kleinen Mann aus Japan unbedingt beibringen, wie man in Rußland
küßt
. Wahrscheinlich hat sie sich gleich in ihnverliebt, wie ich. Aber ich scheute mich, ihn anzusprechen. Er trug die unsichtbare Rüstung eines Erzengels.
So hatte ich Nadeschda noch nie reden hören.
Dabei blutete ihm das Herz. Seine Japanesen wurden
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