Loewenstern
abgehalten, aber sie will nicht verraten, womit. Von Zeit und Zeit wird aus der Tiefe der Gryllenburg ein Summen laut, wie in einem Bienenstock; immer wieder ist – draußen oder drinnen? – auch etwas wie Menschengeräusch zu vernehmen, Stimmen, Schritte, entferntes Gelächter. Es verstummt, wenn ich meinen Garten besuche; komme ich zurück, so ist wieder alles still, der Tisch gedeckt, das Gesteck erneuert – jetzt sind es rosa Hortensien; ich vertrage die Schlachterblume zum ersten Mal. Meine Einsamkeit ist nicht ganz unwillkommen; ich schreibe wieder, wie Sie sehen. Die Post lege ich neben das gebrauchte Eßgeschirr, und beides ist, wenn ich vom morgendlichen Guß zurückkomme, zuverlässig abgeräumt. Nadja hat sich von Anfang an verpflichtet, meine Briefe
unbesehen
zu befördern. Wohin, hat sie nie fragen müssen, und Antwort erwarte ich nicht mehr.
Sie müssen schreiben, sagte sie damals, aber
was
Sie schreiben, interessiert mich nicht.
Nadjas Auftrag – wenn sie denn einen hat, wenn sie ihn denn noch erfüllt – besteht darin,
mich
zu lesen. Wozu, das muß ich nicht wissen.
Gestern klopfte es wieder einmal an meine Tür.
Nadja war es, auch wenn ich sie fast nicht erkannt hätte. Sie trug einen roten Turban auf kurzem braunen Haar und ein langes weißes Kleid, das sehr hoch unter dem Busen gerafft war; um die Schultern lag ein dunkelroter Schal, dessen lange Schleife über ihren Arm fiel. In seiner Beuge lag ein Ginsterstrauß; in der andern Hand – weiße Handschuhe reichten über den Ellbogen hinauf – trug sie einen flachen Koffer aus Segeltuch, der mit Riemen zugeschnallt war.
Sie verreisen? fragte ich.
Ich habe Ihnen Kleider gebracht, sagte sie. – Es könnte kühler werden. Ich störe nicht lange, tausche nur die Blumen aus.
Sie hielt mir den Mantelsack entgegen; ich nahm ihn wortlos.
Es ist ein Bauernkleid, sagte sie, Hemd, Kittel und Hose. Die Bundschuhe habe ich vor der Tür abgestellt. Sie werden ja noch im Garten arbeiten. Fürs Haus ist ein kurzer Kaftan dabei. Probieren Sie, ob alles paßt.
Ich danke Ihnen, sagte ich und hatte unwillkürlich den
Yukata
über der Brust festgezogen, denn mich fröstelte auf einmal. Ich sah zu, wie sie den Strauß ablegte, die Schale mit dem Goldlack aufnahm und durch die Tür trug, um das Wasser zu wechseln; dann brachte sie das leere Gefäß zurück und kniete nieder, um es mit Ginster zu bestecken. Ich sah ihren gebeugten Rücken, über den das breite Schleifenende hing; er wirkte damenhaft und zerbrechlich.
Sie kommen wieder, sagte ich.
Ich würde mich freuen, von Ihrer Arbeit noch mehr zu hören, sagte sie.
Arbeit? fragte ich ungeschickt.
Sie beschäftigen sich doch mit «Golownins Gefangenschaft», sagte sie. – Es soll ja bald zum Krieg kommen.
Zum Krieg? fragte ich erstaunt. – Warum denn? Die Gefangenen sind doch schon lange frei.
Die Gefangenen frei? fragte sie, sich aufrichtend. – Glauben Sie das im Ernst? –
Wir
sind frei, sagte sie mit starrem Blick, jetzt kommen auch die anderen dran. Wir bekommen zu tun, Ermolai.
VI
Tod dem Zaren
1 In neuen Kleidern waren wir ein neues Paar.
Regelmäßig spätnachmittags kommt meine Gastgeberin, Madame Nadeschda Loginowa, um mich zu vernehmen, und dabei ist sie in ihrem Kostüm – zwischen Empire und Biedermeier – nichts als Dame.
Wie kamen die Russen frei? frage ich, und sie: Was glauben Sie? Fangen Sie doch mal bei Rikord an.
Am 11. Juli 1811 liegt die
Diana
vor der japanesischen Festung Kunaschir. Kapitän Golownin ist mit Moor, Chlebnikow, vier Matrosen und dem Dolmetscher Alexej an Land gegangen und bleibt zu lange aus. Rikord hat die Küste zunehmend besorgt durch das Fernglas beobachtet. Dann muß er mitansehen, wie sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten.
Was tun? Gegen einige Hundertschaften bewaffneter Feinde ist mit fünfzig Mann, die auf der
Diana
geblieben sind, nichts auszurichten. Rikord löst ein paar Kanonenschüsse, einen hilflosen Wutschrei; dann ruft er die Mannschaft zusammen und hält Rat. Soviel ist sicher: Sie kehren nicht ohne Kapitän und ihre Kameraden nach Rußland zurück. Und doch: gerade dies müssen sie als erstes tun, um Verstärkung zu holen und sich der Unterstützung der Regierung zu versichern; dann ist Rußland im Krieg. Doch wie sollen ihn die Gefangenen überleben?
Man hat, bevor man Kunaschir verließ, an einem unbewachten Ort ihre Kleider, Bücher und persönlichen Gegenstände hinterlassen, denn soviel weiß man immerhin: die
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