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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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müssen erstarrt sein, denn Kaheis Handlung konnte nur
einen
Sinn haben. Dafür behielt er das kurze Schwert zurück. Die Locke war an seiner Stelle zu verbrennen, zum Zeichen, daß er ehrenhaft abgetreten sei.
    Rikord war zur Härte entschlossen. Entweder der Brief geht nach Kunaschir, unverändert und durch den von ihm bestimmten Boten – oder man kehrt auf der Stelle um, aber nach Ochotsk – und
mit
Takada ya Kahei.
    Ochotsk, sagte Nadeschda. – Das Letzte. Alles Böse kam von Ochotsk. Als Rikord nach Ochotsk fuhr, hatte Kahei Olinka sogar verleitet, Rikords Schreibtisch abzusuchen. Was wollte er
wirklich
in Ochotsk? Die Küsse des Gouverneurskinds hatten Kaheis Mißtrauen nicht entkräftet. Ochotsk, das bedeutete Krieg – und jetzt hatte sein Freund die Maske fallenlassen.
Lebend
brachte ihn niemand nach Ochotsk.
    Ich aber lernte Nadeschdas Talent als Schauspielerin kennen.
    Jetzt bringt er sich um, endgültig. Aber zuvor ist er sich noch eine Szene schuldig. Plötzlich turnt er, der zarte Mann, die Wanten der
Diana
hinauf – jetzt ist er das Äffchen, das diese Russen in ihm immer gesehen haben! – bis zum Topp, und klettert in den Korb. Und schreit in alle Winde:
Īkuruzu! Īkuruzu!
Olinka erklärt dem bestürzten Kapitän, damit sei
er
gemeint. Als sie noch Freunde waren, haben sie sich gegenseitig
Taisho
genannt – Chef. Olinka wartet die Antwort des Kapitäns nicht ab; vorher saust er selbst zum Krähennest hinauf, seine verzweifelte Ansprache
sieht
man nur, man hört sie nicht; und im Nu steht er wieder unten auf dem Deck. Kahei, meldet er, erwarte Rikord auf dem Topp, zum ZweikampfMann gegen Mann, aber, fügt er atemlos hinzu, Kahei verlange nur ein wenig verwundet zu werden, der Ehre wegen; dann stürze er sich selbst hinunter. Inzwischen scheint Kahei auf dem Sprung, seinen Vorsatz auch ohne Rikord auszuführen, und der macht seiner Gewissensqual mit einem Schrei Luft:
Taisho! ich habe dich verstanden!
Keine Reaktion, also muß er selbst hinauf, der Kapitän, und klettern, bis der Großmast aufhört, das hat er seit der Kadettenschule nicht mehr getan. Nun hängen sie beide im schwankenden Korb, enger als Ratten im Käfig, zwischen Himmel und Erde und halten sich doch besser, statt zu kämpfen, aneinander fest. Und am besten helfen sie einander, nach einer Anstandspause, vorsichtig wieder hinaus und sorgsam hinunter. Am Ende muß Rikord den plötzlich gealterten Mann stützen, obwohl er selbst nicht auf festesten Beinen steht – aber es ist noch einmal überstanden, was immer.
    Wieder auf Deck, erklärt Kahei in aller Form,
jetzt kleide er sich um
. Rikord erwidert ebenso: ob er ihn danach in der Messe zum Tee erwarten dürfe? Kahei erscheint, im schwarzen Habit, den er zuletzt beim Begräbnis seiner Diener getragen hat; wenigstens ist es nicht das weiße Totengewand. Beherrscht trägt er dem
Taisho
vor – er nennt ihn wieder so –, es sei leider nicht möglich, daß ein unpassender Brief von einem zweitrangigen Boten zum Kommandanten von Kunashiri gebracht werde. Deswegen sei Kahei entschlossen gewesen, sich zu töten – zuvor aber auch einige Russen; ihn, Rikord, leider auf jeden Fall, und auch den zweiten Offizier. Inzwischen aber habe er eingesehen, daß die Übergabe dieses Briefes für Rußland zwingend sei, und sei darum bereit, ihn dem Kommandanten von Kunashiri persönlich einzuhändigen. Da er, Kahei, dann wohl festgehalten werde, sei leider eine Weile mit seiner Abwesenheit zu rechnen.
    Danke,
Taisho
, sagte Rikord und verneigte sich. – Ein Boot steht zu deiner Verfügung, sofort, oder wann immer es dir beliebt.
    Kahei verbeugte sich seinerseits. Jetzt hatte er plötzlich keine Eile mehr; ein kleiner Schlaf werde beiden guttun. – Und zieht sein kurzes Schwert, und zum Beweis seiner Schärfe trennt er einseidenes Taschentuch genau in der Mitte. Er überreicht Rikord eine Hälfte; die andere behält er selbst.
    Bei Sonnenaufgang wird das Boot zu Wasser gelassen. Rikord gibt Kahei das Geleit an den Strand auf japanesischen Boden, den Rikord, als Ausländer, nicht betreten darf. Aber Kahei, dem er aus dem Boot hilft, bewilligt ihm dreißig Schritte in der einen, dreißig in der andern Richtung und wartet ruhig, bis Rikord sie getan hat, ohne Feierlichkeit, aber wohlgezählt. Die ersten Schritte auf einem neuen Weg.
    Es beginnt wie ein Kinderspiel, sagte ich. – Woher wissen Sie das alles? Sie sind ja nicht dabeigewesen.
    Rikord ist dabeigewesen, sagte sie. – Und für heute war es

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