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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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bewundernd, voller Respekt. Dann würde ich ein eigenes Leben führen, ein Leben, das von dem meiner Mutter Lichtjahre weit entfernt lag. Und sie würde mich nicht mehr mit ihrer schrillen Stimme mitten in meiner Arbeit stören, damit ich Kartoffeln schälte oder Petersilie klein schnitt. Nie wieder würde ich Geschirr spülen oder staubsaugen, denn in einem eleganten Hosenanzug geht das nun mal nicht. Ich würde hinter Schreibtischen sitzen und mich in Bibliotheken, in denen die Regale vom Boden bis in den Himmel reichten, auf die Gerichtsverhandlungen vorbereiten. Ich würde viel Geld verdienen und dafür sorgen, dass die Gerechtigkeit siegte. Abends würde ich in die Meistersingerhalle gehen und mir ein Konzert anhören, in dem nicht etwa die Kinder der Grundschule auftraten, sondern berühmte Pianisten aus der ganzen Welt. Und hinterher würde ich mit Freunden in eleganten Restaurants zu Abend speisen und über wichtige Dinge sprechen, so wichtig, dass ich sie mir nicht einmal ausmalen konnte.
    Und jeden Monat würde ich mir eine neue Aktentasche kaufen, aus hartem Leder und aus weichem, in Braun und Schwarz und Grau, passend zu meinem Hosenanzug.
    Aber dann rief wieder jemand nach mir, und mein Traum löste sich auf. „Şengül, bügle die Wäsche“, „putz das Badezimmer“, „lauf zum Laden“. Doch wann immer ich meine Gedanken fliegen lassen konnte, befand ich mich in einer anderen Welt. In dieser Welt war ich jene Anwältin, löste schwierige Fälle und bewahrte unschuldige Menschen vor dem Gefängnis. In diese Welt konnte mir niemand folgen, denn sie gehörte mir, mir allein. Und wenn ich auch glaubte, dass ich nie so sein würde wie diese Frau, so gaben mir meine Tagträume doch Kraft und Mut, sogar das Allerschlimmste durchzustehen. Über Jahre hinweg war diese Frau mein guter Engel, meine Quelle der Kraft, |30| mein heimliches Gelobtes Land. Und wenn meine Mutter mich anschrie oder später mein Ehemann mich terrorisierte, so genügte ein Wimpernschlag und ich sah durch sie hindurch, denn dahinter, unsichtbar für andere, war die Anwältin, und ich schlüpfte in ihre Rolle, streifte mein eigenes trauriges Leben ab wie eine lästige Hülle und wurde zu dieser wunderbaren Frau, der alles gelang, die tat, was sie wollte und immer einen Rat für andere Menschen hatte. Und wenn sie auch unerreichbar für mich war, so wusste ich doch, dass sie existierte, ich hatte sie mit eigenen Augen gesehen, so etwas war möglich, und in meinen kühnsten Momenten fragte ich mich: „Wieso eigentlich nicht für mich?“
    Zunächst erschien mir das Bild dieser Anwältin nur in meinen Träumen, nachts, wenn ich schlief. Wie einen Schutzengel sah ich sie durch meine Traumwelt spazieren, ihr eigenes Leben leben. Diese Träume taten mir so gut, ja, schienen mich direkt zu stärken, sodass ich nach und nach auch tagsüber dieses Bild in mir wachrief, das mir half, meinem Alltag zu entfliehen. Ich begann darüber nachzudenken, wie ich meinen Traum verwirklichen könnte und mir wurde klar: Anwältin wurde man nicht, indem man lernte, Auberginen auf türkische Art zuzubereiten oder Hühnchen nach dem alten anatolischen Rezept meiner Mutter. Und manchmal gestand ich mir sogar ein, dass ich unglücklich war.

    Mit dreizehn fielen mir auf einmal – kein Arzt wusste, warum – die Haare am Kopf büschelweise aus. Ich bekam eine kreisrunde Glatze und war am Boden zerstört. Auch wenn ich versuchte, mein Haar auf der Seite zu scheiteln und sie über die kahle Stelle zu kämmen, so konnte doch nichts darüber hinwegtäuschen, dass ich ein dreizehnjähriges Mädchen mit einer Glatze war.
    „Du kannst froh sein“, sagte meine Mutter, „wenn dich überhaupt einer nimmt. So, wie du beieinander bist“.
    „Ich will überhaupt nicht heiraten!“, weinte ich, „Ich werde lernen und irgendwann mein eigenes Geld verdienen.“
    |31| Dieser Satz genügte, um meine Mutter fuchsteufelswild zu machen. „Willst du die größte Hure des Landes werden?“, schrie sie. Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte werden wie die Anwältin. Und die war schließlich auch keine Hure, sie war respektabel, sogar mein Vater hatte sie bewundert. Aber es hatte keinen Zweck, mit meinen Eltern zu streiten. Es war völlig sinnlos, ihnen zu erklären, wovon ich tagtäglich träumte. Mein Vater würde nur den Kopf schütteln und meine Mutter mich mit Häme überziehen.
    Zu meiner großen Erleichterung wuchs mein Haar nach einigen Monaten wieder nach. Dennoch ist es

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