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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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Mutter doch stets nur gehört, ich sei hässlich, und kein Mann würde mich je auch nur eines Blickes würdigen. Nach langem Hin und Her willigte ich ein, mich mit ihm zu einem Spaziergang zu treffen, aber nur, wenn alle meine Cousinen mitkämen. Denn falls wir erwischt würden, so dachte ich, könnten die Erwachsenen nicht herausfinden, welche von uns das Rendezvous hatte.
    Gesagt getan. Yasim gefiel mir sehr, er hatte wunderschöne blaue Augen und er hatte Humor, brachte mich andauernd zum Lachen. Doch dann passierte, was passieren musste: Einer unserer Onkel sah uns, wie wir mit einem wildfremden jungen Mann spazieren gingen. Da behaupteten wir, so wie wir es vereinbart hatten, dass dieser Yasim uns belästigt hätte und dass wir ihn einfach nicht hätten abschütteln können. So kamen wir noch einmal davon. Meine Cousinen und ich, wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Eine von ihnen wurde später meine Schwägerin, und eine andere wurde nur eine Woche vor mir verheiratet.

    |36| Mit 16 Jahren
    Yasim schaffte es trotz allem, mit mir in Kontakt zu bleiben. Kleine Briefchen wurden geschrieben, Botschaften hin und her geschmuggelt. Selbst als der Urlaub zu Ende ging, und wir beide wieder in Deutschland waren, ich in Nürnberg und er in Kassel, hielt unsere Freundschaft noch an. Wann immer es möglich war telefonierten wir heimlich miteinander. Und ich werde nicht |37| vergessen, wie eines Tages die Sekretärin der Berufsschule, die ich neben meiner Friseurinnenlehre besuchte, ihren Kopf zur Tür des Klassenzimmers hereinstreckte, und mich herausrief.
    „Ihr Bruder ist da“, sagte sie zu mir.
    Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass einer meiner Brüder hier nach mir fragen würde, aber ich folgte ihr trotzdem. Ich fiel fast in Ohnmacht, als ich Yasim vor mir stehen sah. Ich schwindelte der Lehrerin vor, ich müsste sofort nach Hause, da meine Mutter schwer krank geworden sei, und verbrachte den Nachmittag mit Yasim im Park, halb tot vor Angst, es könnte uns jemand sehen. Tatsächlich konnte ich seinen Besuch überhaupt nicht genießen, denn ich befürchtete, dass mich meine Mutter totschlagen würde, wenn sie wüsste, was ich gerade tat.
    Fast ein Jahr lang ging das so, wir telefonierten heimlich, und ich hütete dieses Geheimnis wie ein Juwel. Vielleicht gab mir die heimliche Beziehung zu Yasim die Kraft, mich gegenüber meiner Mutter in einer Sache durchzusetzen: Ich brach meine Ausbildung zur Friseurin ab. Stattdessen begann ich als gewöhnliche Arbeiterin in einer Fabrik, die Filzstifte herstellte. Zuerst bohrte ich im Akkord Löcher in die Stifte, und wenn auch diese Arbeit nicht das war, was ich mir erträumt hatte, so nahm ich sie genauso ernst wie alles, was ich anfing und machte meine Sache perfekt. Es dauerte nicht lange, und ich wurde zum Stifteschleifen abgeordnet. Schon bald bemerkten meine Vorgesetzten, dass meine Stifte im Gegensatz zu denen meiner Kollegen stets makellos waren. Keiner schmierte, keiner machte Flecken. Sie fragten mich daraufhin, ob ich Interesse hätte, in der Qualitätssicherung zu arbeiten, und ich sagte begeistert zu. Wie stolz war ich über dieses Lob!
    Ich wurde für zwei Tage nach Heidelberg in die Werksleitung geschickt, wo ich in einer Schulung auf meinen neuen Posten vorbereitet wurde. Ich erhielt Einblick in alle Arbeitsschritte der Fertigung und voller Begeisterung sog ich alles in mich auf. Von nun an war es meine Aufgabe, die Stifte der anderen zu prüfen. Ich erhielt weiße Baumwollhandschuhe, und mit ihnen |38| strich ich an den Stiften entlang, um zu sehen, ob sie Spuren hinterließen.
    Diese Arbeit machte mir viel Spaß. Ich hatte sehr nette Kollegen, und besonders einer namens Udo gefiel mir sehr. Er war ein großer blonder Deutscher und seine Aufmerksamkeit tat mir gut. Inzwischen hatte ich erfahren, dass Yasims Familie noch sehr viel konservativer war, als meine eigene. Seine Mutter und seine Schwestern trugen alle Kopftücher, und hatten offenbar noch weniger Freiheiten als ich. Ich verliebte mich in Udo und machte mit Yasim Schluss.
    Meine Familie bekam von alldem überhaupt nichts mit. Sorgsam hütete ich auch dieses Geheimnis. Meine Familie interessierte sich nicht im Geringsten für meine beruflichen Erfolge, und dass ich von den einfachen Arbeiterinnen in die Qualitätskontrolle aufgestiegen war, bedeutete ihnen nichts. Lediglich über mein höheres Gehalt freuten sie sich, denn wie meine Brüder lieferte auch ich von meinem Lohn jeden Monat

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