Loewinnenherz
ich gehofft, in meinem Vater einen Verbündeten zu finden, sah ich mich gründlich getäuscht. Wie alles, was die Familie betraf, überließ er auch meine Heirat |41| vollkommen meiner Mutter. Und sie hatte ihre Entscheidung längst getroffen.
In türkischen Familien aus der Gegend, aus der meine Eltern stammen, ist es eine alte Tradition, Hochzeiten zu arrangieren. Auch die Ehe meiner Eltern war auf diese Weise zustande gekommen. Die beiden hatten Glück, denn für sie war es Liebe auf den ersten Blick, und diese Liebe für einander hält bis heute an. Aber die wenigsten arrangierten Ehen sind so glücklich. Und dennoch sind sie ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor innerhalb der Großfamilien. Besonders eine Tochter, die in Deutschland aufgewachsen ist und dem Ehemann den Weg in dieses Land des Wohlstandes ebnen kann, ist auf dem Heiratsmarkt viel wert. Will man also als türkische Familie in Deutschland einem armen Verwandten in der Heimat einen Gefallen tun, dann gibt man ihm oder seinem Sohn die Tochter zur Frau. Und genau das hatte auch meine Mutter im Sinn. Auch wenn ich ständig krank war und ihrer Meinung nach nicht besonders attraktiv, so hatte ich doch den Vorteil, einem Ehemann die Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu ermöglichen. Und so waren sich mein Onkel und meine Mutter handelseinig geworden.
Viele, die nicht mit diesem türkischen Hintergrund aufgewachsen sind, stellen mir heute die Frage, warum ich damals, im Alter von fast achtzehn Jahren, nicht einfach meine Familie verlassen habe, um ein eigenes Leben zu beginnen. Die Antwort darauf ist ganz einfach: das war schlichtweg unmöglich und ist es auch heute oft noch. Eine Tochter, die sich gegen den Willen der Eltern stellt, die womöglich auszieht, sich eine eigene Wohnung nimmt, ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen führt, ist in den Augen vieler Eltern ein gefallenes Wesen. Eine Hure. Eine schlechte Frau, die die Ehre der gesamten Familie in den Schmutz tritt. Auch meine Eltern hätten das nicht geduldet. Mir hätte alles Mögliche zustoßen können: Man hätte mich überall aufgespürt egal, wo ich mich versteckt gehalten hätte. Und dann hätte man mich möglicherweise entführt und nach |42| Anatolien verschleppt, und dort gegen meinen Willen verheiratet. Oder man hätte gleich zu drastischeren Mitteln gegriffen, hätte mich misshandelt, bis ich gefügig gewesen wäre. Wenn auch das keinen Erfolg gezeigt hätte, dann hätte man mich vielleicht sogar getötet. All das kann jemand, der so etwas nicht selbst erlebt hat, nur schwer verstehen. Und es ist auch nicht leicht zu erklären. Wenngleich mein Vater der Meinung war, dass ein Mann die Hand nicht gegen Frauen erheben sollte, so wäre das im Falle einer Ehrensache etwas anderes gewesen. Das hat mit väterlicher Liebe nichts zu tun. Im Gegenteil. In dieser verqueren Weltanschauung, in der die Ehre über allem anderen steht, ist es sogar ein Zeichen von außergewöhnlicher Liebe, wenn ein Vater seine gefallene Tochter richtet, um dadurch die Ehre wiederherzustellen, und zwar nicht nur die der Familie, sondern auch die Ehre des Mädchens selbst. All diese Dinge schwangen in meiner Erziehung stets mit, ständig sprach mein Vater über die Ehre, die seiner Meinung nach gekränkt worden war, stets riskierte er jede Strafe, um diesem Verständnis von Ehre Genüge zu tun. Die Ehre stand und steht auch über dem Gesetz, vor allem der Rechtsprechung, die in Deutschland gilt. Und darum war es für mich in diesen Wochen, als ich langsam und schmerzlich einsehen musste, dass mir nichts anderes übrig blieb, als jenen Mann zu heiraten, den meine Mutter schon lange für mich ausgesucht hatte, unmöglich, etwas anderes zu tun, als mich meinen Eltern zu beugen.
Man zeigte mir Fotos von Refik. Ich hatte ihn so flüchtig gesehen, dass ich mich kaum an sein Gesicht erinnerte. Damals hatte er vielleicht zehn Minuten lang bei uns vorbeigeschaut, ich hatte nicht auf ihn geachtet. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, dass er mein zukünftiger Ehemann sein könnte.
Bei der Arbeit traf ich Udo, der Pläne für unsere Zukunft machte, und mein Herz wurde mir unendlich schwer, weil mir kein Ausweg einfiel, wie ich der Katastrophe entgehen könnte. Zu Hause schrie und tobte meine Mutter, weil ich noch immer |43| stur blieb und stets wiederholte, eine Heirat mit Refik käme für mich nicht infrage. Endlich errang ich einen kleinen Sieg. Ich hatte immer wieder darauf bestanden, dass ich unmöglich einen
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