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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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tausend Mark meinem Vater ab. Meine Arbeit in der Stiftefabrik endete jeden Tag um halb vier Uhr nachmittags. Schon um fünf Uhr war ich mit meiner Schwägerin in einer Heizungsfirma, um dort zwei Stunden lang täglich zu putzen, und alles, was ich über die tausend Mark hinaus verdiente, kam auf ein Sparkonto. Eines Tages, so hoffte ich, wenn ich volljährig war, würde ich mithilfe meines angesparten Geldes vielleicht doch noch eine bessere Ausbildung machen können.
    Udo sah ich nur während der Arbeit, wir verbrachten die Pausen zusammen und nach der Arbeit begleitete er mich zum Bus. Manchmal wagte ich es sogar, einen Bus wegfahren zu lassen und erst den nächsten zu nehmen, und riskierte damit, von meiner Mutter verprügelt zu werden. Ich war siebzehn, und keiner meiner Arbeitskollegen hatte auch nur den leisesten Schimmer davon, wie es bei uns zu Hause zuging. Udos Zuneigung zu mir gab mir die Kraft, neue Pläne für meine Zukunft zu schmieden, und so malte ich mir aus, was ich tun würde, wäre ich erst einmal volljährig.
    |39| Aber was ich mir auch ausmalte, es sollte anders kommen. Ich hatte keine Ahnung von den heimlichen Plänen meiner Mutter.
    Wie ein Lamm zur Schlachtbank
    Vielleicht hätte ich die Zeichen schon früher erkennen können, wäre ich nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, meine ersten Erfahrungen mit dem Verliebtsein zu machen. Zwischen Udo und mir konnte es ja nicht mehr geben, als Händchenhalten und hin und wieder einen scheuen Kuss. Das Schwierigste war, unsere Verbindung geheimzuhalten, denn ich traute meiner Mutter alles zu, sollte sie erfahren, dass ich ein Techtelmechtel mit einem Deutschen hatte.
    Meine Mutter besaß keinen Führerschein und so kam sie auf die Idee, dass es doch sehr praktisch wäre, wenn ich sie durch die Gegend fahren könnte. Also ließ man mich den Führerschein machen. Eines Tages kam ich von der Fahrstunde nach Hause und meine Mutter rief mich zu sich. Sie wirkte seltsam feierlich, wie sie da in all ihrem Gewicht auf dem Sofa saß.
    „Şengül“, sagte sie, „du wirst heiraten.“
    „Nein“, gab ich zurück, wie Tausende Male zuvor, „ich will nicht heiraten. Das weißt du doch.“
    „Oh doch“, fuhr meine Mutter fort, „du wirst heiraten, und zwar schon bald.“
    Ich erstarrte. Bald? Wie bald?
    „Du kennst ihn“, hörte ich die Stimme meiner Mutter wie aus weiter Ferne. „Du hast ihn gesehen, vorletzten Sommer, er ist der Sohn des Bruders meiner Mutter.“
    In meinem Kopf drehte sich alles. Heiraten? Einen Verwandten? Welchen? Ich hatte so viele. Und während meine Mutter fortfuhr, mir zu erklären, welcher Sohn welches Bruders ihrer Mutter er war, fühlte ich, wie alle Energie, alle Freude, alle Kraft aus mir wichen. Sie machte Ernst. Von nun an waren ihre Worte nicht |40| mehr nur leere Drohungen, die möglicherweise irgendwann einmal Wirklichkeit werden könnten oder auch nicht.
    „Er heißt Refik 1 . Und ich habe mein Wort gegeben. Du bist ihm schon seit einem Jahr versprochen. Diesen Sommer wird es eine große Hochzeit geben.“ Sie wirkte sehr zufrieden. Ich hätte ihr die Augen auskratzen können, ihr an den Hals fahren. Sie hatte über mich verfügt wie über einen Gegenstand. Ohne mich zu fragen, hatte sie mich einem wildfremden Mann als Ehefrau versprochen.
    „Nein“, sagte ich, erst leise, dann immer lauter. „Nein, nein, nein. Ich werde ihn nicht heiraten. Nie und nimmer.“ Ich erwartete, dass sie wütend werden würde, dass sie aufstehen und sich den nächstbesten Gegenstand greifen würde, um auf mich einzuschlagen. Und ich würde mich nicht wehren, denn eine türkische Tochter erhebt nicht die Hand gegen ihre Mutter, das ist undenkbar. Aber meine Mutter blieb sitzen. Ja, sie lächelte sogar.
    „Du wirst, Şengül. So sicher, wie morgen früh die Sonne aufgeht, wirst du Refiks Frau. Ich habe es ihm und seinem Vater versprochen. Im August. Es ist alles schon beschlossen.“
    In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Die Gedanken wirbelten mir nur so durch den Kopf. Ich wusste zwar, um wen es ging, kannte den Mann aber überhaupt nicht. Ein einziges Mal hatte ich ihn kurz gesehen, das war alles. Und an ihn hatte mich meine Mutter also verschachert.
    Während der nächsten Tage herrschte Krieg. Ich wollte mich nicht geschlagen geben. Nein, ich hatte etwas anderes vor mit meinem Leben. Wer auch immer dieser Refik war, er würde eine andere Frau heiraten müssen. Doch ich hatte die Rechnung ohne meine Eltern gemacht. Hatte

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