Loewinnenherz
einer anderen Stadt gefeiert wurde. Als wir nach einer Woche zurückkamen, war es zu spät, und meine Nase blieb krumm. Und diese Verlobung, denke ich traurig, während ich mein dünnes Haar bürste und versuche, es in Form zu bringen, hat die Mutter des Bräutigams gnadenlos zerstört, als sie erfuhr, dass die Braut viele Jahre zuvor vergewaltigt worden war. Eine solche Frau kam für ihren Sohn nicht infrage. Stattdessen wurde auf die Schnelle eine andere Braut gesucht und mit ihr die Hochzeit arrangiert. Türkische Mütter sind allmächtig, und auch ich werde den Plänen der meinen nicht entgehen.
Ich krame Wimperntusche und Kajal hervor und betone meine Augen, die das Schönste an mir sind. Während ich mich schminke, dreht sich mir der Magen um, mir wird schlecht, und in meinem Bauch direkt unter dem Rippenbogen fühle ich einen Druck, wie nie zuvor. Ich habe Angst.
„Komm“, sage ich zu meinem Spiegelbild, „so schlimm wird es schon nicht werden. Du sagst ihm einfach, er soll wieder verschwinden.“ Ich war dreizehn, als ich Refik das erste und einzige Mal gesehen habe. Ich habe damals nicht wirklich auf ihn geachtet. Auch wenn man mir inzwischen Fotografien von ihm gezeigt hat: Diese zweidimensionalen Bilder sagen mir nicht, ob er aus dem Mund riecht oder unter den Achseln stinkt. Sie sagen mir nicht, ob er humorvoll ist oder ernst, locker oder spießig, mutig oder ängstlich, sanft oder brutal, die Bilder sagen mir nichts über seine Stimme, nichts darüber, ob er beim Essen schlürft und im Schlaf schnarcht, ob er gebildet ist oder schlichtweg |46| dumm. Glaubt meine Mutter wirklich, dass diese Abzüge auf Papier mit ein paar Kratzern und Fingerabdrücken darauf eine Grundlage für meine Zukunft bilden können?
„Also ist es gut, dass er kommt“, sage ich zu mir, denn immer, wenn ich mich fürchte, führe ich Selbstgespräche. „Da kannst du dann sehen, was er für einer ist. Vielleicht ist er ja ganz nett. Vielleicht verliebst du dich sogar in ihn. Wie gut, dass du das durchgesetzt hast, Şengül!“
Die Augen sind fertig geschminkt. Lippenstift ist verboten, nach Meinung meiner Mutter tragen ihn nur die deutschen Huren, und sie würde ausrasten, käme ich auf die Idee, meine Lippen zu schminken. Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten. Ich gehe wieder hinaus auf die üppig bepflanzte Terrasse. Und wiege mich auf meinem Stuhl hin und her, den Blick auf den Boden gerichtet, alles um mich herum versinkt, und ich bin wieder in einer anderen Welt. Ich bin Anwältin. Und selbstverständlich habe ich keine Angst vor einem dahergelaufenen Türken, der sich einbildet, er könnte mein Ehemann werden.
Der Schrei meiner Mutter aus dem Haus reißt mich aus meinen Träumen. „Şengül“, ruft sie, „was machst du da draußen? Komm sofort rein! Wir müssen das Essen vorbereiten, in drei Stunden ist er da.“
Noch drei Stunden, denke ich, und gehe gehorsam ins Haus.
Als ich das tote Huhn vor mir liegen sehe, könnte ich weinen. Und als ich es mit dem schärfsten Messer meiner Mutter zerteile, genau so, wie sie es mir beigebracht hat, kommt es mir vor, als zerstückelte ich gerade meine eigene Zukunft.
Danach nehme ich die Kartoffeln aus dem Gemüsefach und nehme sie zum Schälen mit nach draußen auf die Terrasse. Ich will noch ein bisschen diesen wunderbaren ersten Frühlingstag genießen und dem Geschwätz meiner Mutter entkommen. Doch sie folgt mir. Ich verabscheue sie. Sie ist so dick, dass ihr das wabbelige Kinn direkt in die Brust übergeht, so als hätte sie gar keinen Hals, ihr Leib ist eine aufgeblähte Tonne. Und diese Frau will mich zwingen, so zu werden wie sie.
|47| „Benimm dich, wenn er da ist. Ich meine das ernst, hörst du? Zeig ihm, dass du ihn magst. Er ist mein Verwandter, und wehe du blamierst mich. Wir können uns keine Peinlichkeit erlauben. Du bist schon achtzehn. Du musst heiraten. Und dieser Mann ist gut für dich. Şengül, hörst du mir überhaupt zu?“
Da wallt mein alter Trotz in mir auf.
„Ich will nicht heiraten, das weißt du genau“, fahre ich sie an. „Ich will studieren und Anwältin werden, verstehst du?“
Ich beiße mir auf die Lippen. Welcher Teufel reitet mich, ihr mein Geheimnis zu verraten? Sie schreit und tobt und macht mir die größten Vorwürfe. „Studieren? Du bist wohl von Sinnen. Du bist krank. Heirate, bekomm Kinder und lass deinen Mann für dich arbeiten. Was hab ich nur getan, damit ich so mit dir gestraft werde. Wo hast du nur
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