Loewinnenherz
meinen Eltern nicht, dass er mich geschlagen hat. Sagen Sie einfach, dass Sie eine Routinekontrolle machen. Ja? Bitte, geht das? Sie haben keine Ahnung, was mich sonst erwartet.“
Und dann breche ich in Tränen aus, mein ganzer Körper wird von Schluchzern geschüttelt, und dazwischen höre ich immer |66| wieder Refiks verhasste Stimme, die sagt: „Was passiert jetzt? Was hast du ihnen erzählt?“
„Die brauchen deinen Pass“, erkläre ich ihm schließlich, als ich wieder einigermaßen gefasst bin. Refik wird kreidebleich. Die Polizisten sind ratlos. Da wollen sie eine junge Frau vor einem gewalttätigen Mann schützen, und dann will sie nichts weiter, als nach Hause gebracht zu werden. Da soll einer schlau werden aus diesen Türken. Offenbar macht es ihr gar nichts aus, auf offener Straße von ihrem Bräutigam zusammengeschlagen zu werden.
„Sag denen“, fährt Refik fort, „dass sie deinen Eltern nichts sagen sollen.“
„Hab ich doch schon!“, schreie ich ihn verzweifelt an. Und dann schließt sich die Autotür vor Refik und der große blonde Polizist führt mich zu einem anderen Polizeiwagen.
„Haben Sie sich das wirklich gut überlegt?“, fragt er mich während der kurzen Fahrt zu mir nach Hause, „wollen Sie diesen Mann denn wirklich heiraten? Ich habe nicht den Eindruck, dass das eine besonders gute Idee ist.“
Aber ich schweige. Wie soll ich es ihm auch erklären? „Ich meine“, fährt er fort, „wenn er Sie vor der Hochzeit schon so schlägt, wie wird das dann erst später werden? Vielleicht sollten Sie sich die ganze Sache nochmal überlegen!“
Wenn er nur wüsste, denke ich, dass ich mir das nicht zweimal überlegen müsste, wenn ich nur könnte, wie ich wollte. Ich muss an meine Arbeitskollegen denken. Und an Udo. Keiner ahnt auch nur im Entferntesten, in welcher ausweglosen Lage ich mich befinde. Und keinem kann ich davon erzählen, ohne dass mein Leben in einer Katastrophe endet.
Als wir bei uns zu Hause ankommen, läuft meine Mutter mit hochgezogenen Brauen aus dem Haus. Die Polizei! Und ihre Tochter steigt aus dem einen Streifenwagen und ihr zukünftiger Schwiegersohn aus dem anderen.
„Was ist los?“, fragt sie alarmiert.
„Nichts, nichts“, sage ich schnell. Meine Stimme klingt |67| dünn und zittrig. „Eine Routineuntersuchung, nichts weiter. Sie wollen seinen Pass sehen.“ So schnell ich kann, laufe ich ins Haus, um unsere Pässe zu holen. Als ich wieder vor die Tür trete, stehen alle da und sehen mich an. Die Polizisten, meine Mutter, meine beiden Brüder, meine Schwägerin Gülay. Und er. Mit gesenktem Blick überreiche ich dem Beamten die Pässe. Sofort sieht er, dass Refik lediglich ein Touristenvisum hat.
„Warum ist er hier?“, fragt er scharf und fasst ihn noch einmal genauer ins Auge. „Das habe ich Ihnen doch schon erklärt“, sage ich ängstlich. „Wir heiraten. In zwei Wochen schon.“ Der Polizist sieht mich lange an. Ich weiß nicht, was er denkt, ob er mir noch einmal die Chance geben will, die Wahrheit zu sagen, ob er mir eine Brücke bauen will von der Insel unseres Familienuniversums in die deutsche Wirklichkeit, ob er denkt, dass ich völlig verrückt bin und nichts Besseres verdiene als täglich einmal quer durch den Park geprügelt zu werden, oder was auch immer. Dann klappt er den Pass zu und gibt ihn mir zurück. Er sieht von meiner Mutter zu meinen Brüdern, dann zu Refik. „Gut“, sagt er und wendet sich ab. „Dann gibt es für uns hier ja wohl nichts mehr zu tun.“
Die Beamten steigen in ihre Wagen und fahren davon. Ich aber laufe so schnell ich kann in mein Zimmer. Wenn es möglich gewesen wäre, ich hätte die Tür hinter mir abgeschlossen. Aber Schlüssel gibt es in unserem Haus nicht. Ich lege mich stöhnend auf mein Bett. Erst jetzt spüre ich die Schmerzen. Jeder einzelne Knochen tut mir weh. Mein Hinterkopf pocht, egal, wie ich mich hinlege, die Schmerzen sind unerträglich.
Auf einmal steht meine Mutter im Zimmer.
„Was ist passiert?“, fragt sie mich wie ein Großinquisitor.
„Nichts“, sage ich und beiße die Zähne zusammen, damit sie mir meine Schmerzen nicht ansieht. „Eine Routinekontrolle. Das habe ich dir doch schon gesagt.“
„Und warum legst du dich dann ins Bett, so früh am Tag?“
„Ich habe meine Tage bekommen“, schwindle ich, „mir geht es nicht gut.“
|68| „Und warum bist du so rot im Gesicht?“ Meine Mutter lässt nicht locker. Es ist schwer, ihr etwas
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