Loewinnenherz
Es sind Menschen, die in Freiheit leben. Die einen joggen, die anderen schieben Kinderwägen vor sich her, wieder andere sind mit dem Fahrrad unterwegs. Ich frage mich, ob die Frauen hier im Park wohl verstehen könnten, was mit mir gerade passiert. Wohl kaum. „Dann heiraten Sie ihn doch einfach nicht“, würden wohl die meisten zu mir sagen. Und wieder einmal wird mir bewusst, dass ich mitten in Deutschland auf einer Art Insel lebe, die für die anderen unsichtbar ist. Diese Insel heißt Familie, und nur mit der Erlaubnis meiner Mutter und später meines Ehemanns kann ich diese Insel für einen kurzen Ausflug in die Welt verlassen. Die Deutschen können diese Insel nicht sehen, dafür sorgen diejenigen, die auf der Insel das Sagen haben. Nur manchmal, bei ganz besonderen Vorfällen, wird diese Insel für einen kurzen Augenblick auch für die anderen Menschen in Deutschland sichtbar, dann schütteln sie den Kopf und verstehen die Welt nicht mehr. Während mir solche Gedanken durch den Kopf gehen, ahne ich nicht, dass sich ein solcher Augenblick gerade anbahnt.
|62| „Ich will Sex mit dir haben.“ Ich glaube zu träumen. Das kann er unmöglich gesagt haben. In unserer Kultur kommt Sex vor der Hochzeit nicht vor, und gemeint ist nicht die standesamtliche Trauung, sondern die traditionelle Hochzeit in Weiß. Die Jungfräulichkeit wird in der Hochzeitsnacht geprüft, ohne Wenn und Aber. Und genau das sage ich zu Refik, voller Zorn in der Stimme, voller Abscheu. Ausnahmsweise einmal kann ich ihm zeigen, was ich von ihm halte. Denn er hat soeben eine Grenze überschritten, die kein anständiger Türke überschreiten darf. Und wie reagiert Refik? Er lacht nur sein seltsames, böses Lachen. „Wenn ihn nur in diesem Augenblick meine Mutter sehen könnte“, denke ich verzweifelt, „würde sie ihre Meinung über ihn noch einmal überdenken.“
In diesem Augenblick kommt uns ein Jogger entgegen. Er trägt eine extrem kurze helle Sporthose, und man kann einiges sehen, was besser versteckt sein sollte, und das alles wackelt so sehr beim Laufen, dass ich nicht anders kann, als laut zu lachen. Ohne nachzudenken sage ich: „Sieh mal, wie seine Hoden wackeln!“
Der Jogger läuft weiter und verschwindet hinter einer Wegbiegung, und im nächsten Moment landet ein heftiger Faustschlag in meinem Gesicht. Weitere Hiebe treffen meinen Hinterkopf. Brutal prügelt Refik auf mich ein. Dabei geht er systematisch vor. Immer wenn andere Menschen in Sichtweite kommen, hält er kurz inne, um mich, sobald sie weg sind, nur noch härter zu schlagen. Er legt seine ganze Kraft in die Schläge, mit einer Hand hält er meine Haare gepackt, mit der anderen fasst er brutal nach meinem Genick.
„So“, zischt er zwischen den Zähnen hervor, „du findest also andere Schwänze geil, was? Aber mir verweigerst du dich?“ Es ist absurd, aber obwohl er es ist, der sich wie ein Barbar aufführt, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Ich weiß, ich hätte das nicht sagen dürfen. Auch meine Mutter hätte mich geschlagen, wenn sie solche Worte aus meinem Mund gehört hätte. Und so ergeht es mir in diesem Augenblick wie vielen anderen geschlagenen Frauen auch, die sich im Grunde ihres Herzens selbst die |63| Schuld dafür geben, und tatsächlich glauben, die Prügel verdient zu haben.
„Nein“, bettle ich, „du hast mich falsch verstanden! So habe ich das nicht gemeint! Bitte, bitte hör doch auf!“
Aber er hört noch lange nicht auf. Er stößt mich vorwärts und versetzt mir Hiebe, wo immer seine Fäuste meinen Körper treffen. Ich weine und flehe, aber er macht weiter, immer weiter. Rund eine Stunde lang prügelt er mich quer durch den Park, von einem Ende zum anderen und wieder zurück. Er schlägt mich routiniert und gezielt, und jeder einzelne Zentimeter meines Körpers tut mir weh. Er zerrt mich an den Haaren, und ich habe keine Chance, ihm zu entgehen. Irgendwann schleudert er mir mit einem Schlag die Brille aus dem Gesicht. Jetzt kann ich nicht mehr deutlich sehen. Alles ist verschwommen.
Dann höre ich Sirenen und sehe fünf Polizeiautos, die vor uns auftauchen. Die Beamten steigen aus und legen Refik auf der Stelle Handschellen an. Sie untersuchen ihn und zwingen ihn, sich in einen der Streifenwagen zu setzen. Ich stehe daneben, hilflos und ratlos, bis mir einer der Polizisten meine Brille reicht. Sie ist total verbogen, aber ich setze sie trotzdem auf, um wieder einigermaßen sehen zu können.
„Wie ist Ihr Name?“, fragt mich
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