Loewinnenherz
vorzumachen.
„Tatsächlich?“, tue ich erstaunt, „ich bin rot im Gesicht? Keine Ahnung. Wahrscheinlich wegen der Hitze.“
Aber es ist gar nicht heiß, und meine Mutter weiß das genauso gut wie ich. Doch ich tue mein Bestes, um ihr diese Komödie vorzuspielen. Sie darf auf keinen Fall erfahren, was im Park passiert ist. Denn wenn sie von den Schlägen hört, wird sie auch erfahren, was ich zu Refik gesagt habe. Und dann würde auch sie mich schlagen und alles würde von vorne beginnen.
Aber so schnell werde ich meine Mutter nicht los. Und schließlich kommt auch noch mein Vater und will wissen, was passiert ist. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich es damals geschafft habe, sie alle davon zu überzeugen, dass wir beim Spazierengehen lediglich in eine Polizeikontrolle geraten waren. So etwas kommt in Nürnberg so gut wie nie vor, und das wissen meine Brüder und mein Vater weit besser als ich oder meine Mutter, die wir schließlich nie einen Fuß vor die Tür setzen.
Auch am nächsten Tag, einem Sonntag, verlasse ich mein Zimmer nicht. Ich fühle mich viel zu elend und habe Angst, jemand könnte die Spuren von Refiks Misshandlungen entdecken. Mein Hinterkopf schmerzt und pocht, es fühlt sich an, als steckten lauter Nägel darin, die sich langsam in mein Gehirn bohren. Ich kann riesige Beulen ertasten, und es tut höllisch weh. Ich bin verzweifelt, immer wieder durchlebe ich die schrecklichen Szenen im Park, immer wieder höre ich die Worte des Polizisten. Er hat recht, ich weiß es. Ich darf diesen Menschen nicht heiraten. Ich muss mich jetzt konzentrieren, und überlegen, wie ich es am besten anstelle, die Hochzeit im letzten Moment doch noch platzen zu lassen. Aber wie soll ich das meinen Eltern erklären, ohne dass daraus ein Ehrenfall entsteht? Ich muss darüber nachdenken. Und dafür brauche ich Ruhe. Doch mein Kopf schmerzt so sehr, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann.
|69| Irgendwann am Sonntagnachmittag geht auf einmal die Tür zu meinem Zimmer auf, und Refik kommt herein. Er setzt sich auf mein Bett. Instinktiv rücke ich von ihm ab.
„Es tut mir leid“, sagt er, „ich wollte das alles gar nicht. Kannst du mir verzeihen?“
Aber es klingt nicht echt. Seine Worte klingen einstudiert, so, als habe er begriffen, dass er nett sein muss, wenn er an sein Ziel gelangen will. Doch an welches Ziel? Spürt er, dass ich dabei bin, ihm zu entgleiten? Oder haben die Polizisten auch ihm Angst eingejagt? Hat er begriffen, dass es hier in Deutschland anders zugeht als in Anatolien? Hat er verstanden, dass er, solange er kein Deutsch spricht, auf mich angewiesen ist? Ich spüre seine Berechnung, fühle, dass es ihm nicht wirklich leidtut. Und dennoch sage ich:
„Ja, ich verzeihe dir. Aber jetzt lass mich bitte allein.“
Und tatsächlich, er steht auf und wendet sich zur Tür. Von dort schaut er noch einmal zurück. Seine Augen sind gerötet. Aber kein Bedauern steht in ihnen. Sondern Wut. Dass ich es wage, ihm die Tür zu weisen.
Als er fort ist, lehne ich mich zurück und starre zur Decke. Und ich gehe hinüber in das andere Leben, von dem ich glaube, dass ich es niemals führen werde. Aber von dem zu träumen mir hilft, mein jämmerliches Dasein zu ertragen.
„Du wirst unglücklich werden …“
In den Tagen nach unserem Spaziergang verhält sich Refik ungewöhnlich freundlich. Er entschuldigt sich noch ein paar Mal bei mir, und ich bin ziemlich erleichtert darüber, denn im Grunde meines Herzens bin ich davon überzeugt, dass alles ganz allein meine Schuld war. Ich hatte ihn gereizt, hatte mich ungebührlich verhalten, sodass er gar nicht anders konnte, als mich zu schlagen. Die jahrelange Gehirnwäsche meiner Mutter trägt nun Früchte. Und erst seit Kurzem weiß ich, dass es vielen anderen |70| Frauen ganz ähnlich geht, wenn sie Gewalt erfahren, sei es von Männern oder auch von ihren Müttern. Und auch kleine Kinder tendieren leicht dazu, alle Schuld auf sich zu nehmen, wenn sie misshandelt werden – warum sonst sollten die Menschen, die ja behaupten, sie zu lieben, ihnen etwas so Schreckliches antun?
Meine Schwellungen gehen zurück, die Schmerzen lassen nach, und ich sehe die Welt wieder optimistisch. Vielleicht ist Refik doch nicht so übel, denke ich, man darf ihn nur nicht reizen. Und irgendwie hat uns das gemeinsam durchgestandene Abenteuer mit den Polizisten im Park einander sogar näher gebracht. Refik zeigt sich von seiner besten Seite, er ist höflich und zuvorkommend.
Der
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