Loewinnenherz
was man machen muss, wenn man sich scheiden lassen will? Muss man das auch beantragen? Kann ich das Formular gleich mitnehmen?“
Während wir noch warten müssen, bis die Hochzeitsgesellschaft vor uns fertig ist, wird mir bewusst, wie absurd diese Situation ist. Zwei meiner Arbeitskollegen treten auf mich zu, sie können immer noch nicht fassen, dass ich kurz davor stehe, einen Mann zu heiraten, den meine Eltern für mich ausgesucht haben und den ich kaum kenne.
„Bist du dir wirklich sicher?“, fragen sie mich wohl zum hundertsten Mal. „Willst du das wirklich tun?“
„Naja“, sage ich leichthin, „wenn es nichts wird, kann ich mich ja immer noch scheiden lassen.“
Das finden die beiden gar nicht lustig. Sie schütteln nur den Kopf, schauen mich an, als wollten sie in meinen Augen lesen, was in mir vorgeht. Sie glaubten mich so gut zu kennen. Und jetzt das.
Die Trauung beginnt. Wir setzen uns auf die für uns vorgesehenen Stühle, umrahmt von den Trauzeugen. Jetzt fange |73| ich doch an zu zittern. Habe das Gefühl, ganz dringend auf die Toilette zu müssen. Was, wenn ich mich kurz entschuldige und einfach nie wiederkomme? Aber diese Gedanken sind absurd. Es gibt keinen Ausweg für mich.
Zunächst einmal, das begreife ich jetzt mit aller Macht, binde ich mich an diesen Mann hier neben mir. Ob er mir erlauben wird die Schule nachzumachen? In meinem Kopf schwirren lauter Fragen, auf die ich keine Antworten habe. Immer unruhiger werde ich auf meinem Stuhl. Bilder jagen durch meinen Kopf. Wie er aus dem Taxi stieg, jener seltsame, erste Blick, den er mir zuwarf. Sagt man nicht, der erste Eindruck trügt nicht? Hat er mich nicht durch den ganzen großen Park geprügelt, bis die Polizei einschritt? Was, wenn er das wieder tut? Das nächste Mal vielleicht ohne Grund? Ich sehe, wie sich die Lippen des Standesbeamten bewegen, aber ich kann dem, was er sagt, nicht folgen. In meinen Ohren scheint alles widerzuhallen, ich höre doppelt und dreifach. Irgendwann sage ich „Ja“, und es ist vorüber. Ich schrecke auf, als alle um uns anfangen zu klatschen.
Das war es also, es ist vollzogen. Eine absurde Erleichterung macht sich in mir breit. Wenigstens bin ich nicht mehr die Sklavin meiner Mutter. Zumindest wird es nicht mehr lange dauern, bis ich ihren Fängen endgültig entkomme, denn die standesamtliche Trauung hat für unsere Familien keine Bedeutung. Erst nach der traditionellen Hochzeit in der Türkei, die während unseres Sommerurlaubs in sechs Wochen stattfinden wird, werden wir in den Augen meiner Eltern Mann und Frau sein. Die Zeremonie heute dient eigentlich nur dazu, Refiks Aufenthaltsgenehmigung auf immer und ewig zu sichern.
Und jetzt ist es Zeit zu feiern. Mit großem Hallo verteilt sich die ganze Gesellschaft auf die Autos. Alle sind eingeladen, im Haus meiner Eltern dem großen Festessen beizuwohnen, das wir seit Tagen vorbereitet haben. Mein Vater und meine Brüder haben im Garten eine riesige Tafel aufgebaut, an der alle Platz finden. Die Gäste scheinen das Fest in vollen Zügen zu genießen, und ich habe keine Zeit darüber nachzugrübeln, was ich soeben |74| getan habe. Denn gemeinsam mit meiner Schwägerin und meiner Mutter bin ich auch an meinem Hochzeitstag dafür zuständig, die Speisen zu servieren und eilfertig zu springen, wenn jemand etwas braucht. Platten müssen auf- und wieder abgetragen werden, schmutziges Geschirr, das sich bald in der Küche stapelt, will abgewaschen sein, Tee muss gekocht und alle möglichen Sonderwünsche müssen erfüllt werden. Ich bin erschöpft und mit meinen Nerven am Ende, doch ich halte durch. Und irgendwann geht auch dieser Tag zu Ende. Ich falle todmüde ins Bett und bin froh, dass ich es erst nach der türkischen Hochzeit mit Refik werde teilen müssen.
In dieser Nacht habe ich einen wunderschönen Traum. Ich bin auf einer Feier, aber es ist nicht meine Hochzeit. Ich trage eine Robe, und es ist kein Hochzeitskleid. Ich feiere mein Examen, denn ich habe mein Studium erfolgreich hinter mich gebracht. Von nun an werde ich als Anwältin arbeiten. Die Feier ist wunderbar, es wird getrunken und gelacht bis in den frühen Morgen. Etwas weckt mich auf. War da jemand an der Tür? Jetzt ist alles still. Ich fühle meinem Traum nach, er war so real, so nah. Noch glaube ich das Gelächter meiner Freunde zu hören, fühle die Robe …
Doch dann bricht die Realität wie ein eiskalter Regenschauer über mich herein. Ich bin keine Anwältin. Ich habe keine
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