Loewinnenherz
ein junger blonder Polizist. Er ist groß und sieht mitleidig auf mich herab. Zögernd nenne ich meinen Namen.
„Wer ist dieser Mann? Spricht er Deutsch? Haben Sie Ihre Ausweise dabei? Er hat Sie geschlagen, nicht wahr? Sie sind ja ganz rot im Gesicht. Sollen wir einen Krankenwagen rufen?“
Heute denke ich, dass diese Situation ein Ausweg hätte sein können. Dass mir diese Menschen tatsächlich helfen wollten. Damals aber war ich fest davon überzeugt, dass ich das System, das meine Familie repräsentierte, nicht an die Polizei verraten durfte. Polizisten waren immer die Gegner gewesen, wenn mein Vater in Auseinandersetzungen verwickelt war. Ihnen durfte man sich nicht anvertrauen. Außerdem war ich ja selbst schuld an der ganzen Sache. Wie hatte ich nur so unbedacht meine Gedanken |64| herausplaudern können! Vielleicht hatte meine Mutter wirklich recht, und im Grunde meines Herzens war ich eine Schlampe.
Meine Augen suchen Refik, der im Polizeiauto sitzt und drohend zu mir herüberstarrt. „Sagst du auch nur ein einziges Wort“, sagt er leise, aber umso deutlicher zu mir, „dann schwöre ich dir, dass ich dich töten werde. Du sagst gar nichts!“ Natürlich spricht er auf Türkisch. Die Beamten haben keine Ahnung, was er da eben gesagt hat.
Ich denke an meine Eltern, wie sie reagieren werden, wenn sie hiervon erfahren. Ich werde noch mehr Prügel einstecken müssen, keiner wird zu mir halten. Ich weiß nicht, was ich tun oder sagen soll. Ich weiß nur eines: Refik ist es zuzutrauen, dass er seine Drohung wahr macht. Aber ich weiß auch, dass mein Vater Männer, die Frauen schlagen, zutiefst verachtet. Was wird er mit Refik tun, frage ich mich. Vor meinem inneren Auge sehe ich bereits die beiden in einen blutigen Kampf verwickelt. Einer von beiden wird sterben. Und es wird Refik sein, so dürr und schmächtig wie er ist. Ich denke wieder an Ugur, der groß und kräftig war und gegen meinen Vater trotzdem keine Chance hatte. Er wird Refik einfach das Genick brechen. Und dann? Mein Onkel wird den Tod seines Sohnes wegen einer Frau, die sich nicht zu benehmen weiß, nicht hinnehmen. Eine Familienfehde wird ausbrechen, und es wird meine Schuld sein. Mein Vater wird im Gefängnis landen, Refik im Grab und ich, die Ursache von all dem, werde als Schlampe gebrandmarkt. Wie es auch kommt, mein Leben wird zerstört sein.
All das läuft wie ein Film mit rasend schnellen Bildern vor mir ab. Noch immer sehe ich in Refiks gerötete, harte Augen, die sich drohend in meine bohren. Ich muss einen Ausweg aus all dem finden. Und auf einmal fange ich an zu reden.
„Hören Sie“, sage ich zu dem Polizisten, „das ist alles ein Missverständnis. Dieser Mann hier ist mein Verlobter.“
Er reißt die Augen auf, als sähe er nicht eine geschlagene junge Frau mit schiefer Brille auf der Nase vor sich, sondern ein grünes Männchen vom Mars.
|65| „Was?“, ruft er aus, „diesen Mann wollen Sie heiraten? Ja sind Sie noch bei Sinnen? Er hat Sie geschlagen. Es gibt genügend Zeugen, die uns alarmiert haben. Sie sollten Anzeige gegen ihn erstatten.“
„Nein“, sage ich, und es klingt kläglich, „ich will keine Anzeige erstatten. Bitte, Sie müssen mir helfen.“
„Aber das wollen wir ja. Wir wollen Ihnen helfen. Dieser Mann ist gefährlich.“
„Nein“, sage ich wieder, „keine Anzeige. Ich will nur nach Hause. Wirklich! Ich bitte Sie.“
Der gutaussehende Polizist sieht mich verächtlich an.
„Ihre Ausweise bitte!“
„Unsere Pässe“, sage ich, „sind bei uns zu Hause. Wir haben sie nicht dabei. Wir wollten schließlich … nur spazieren gehen.“
Ich muss mich unendlich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen. „Bitte lassen Sie uns gehen. Müssen Sie wirklich unbedingt die Pässe sehen?“
Doch die Polizisten bleiben hartnäckig.
„Dann fahren wir Sie jetzt nach Hause. Dort zeigen Sie uns Ihre Pässe. Vor allem seinen.“ Und mit einer Kopfbewegung deutet er auf Refik, der unser Gespräch, von dem er kein Wort versteht, misstrauisch verfolgt.
Von der Polizei nach Hause gebracht! Mich überkommt Panik. Was werden meine Eltern sagen? Sie werden mir die Schuld geben, das ist klar. Oder sie werden die Wahrheit erraten, und dann ist Refik ein toter Mann. Und mich töten sie gleich mit, und wenn nicht, dann wird das Refiks Familie für sie erledigen. Unter Tränen flehe ich den Polizisten an, meinen Eltern nichts zu erzählen. Doch der versteht nicht, was ich ihm sagen will. „Bitte, sagen Sie
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