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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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Aktentasche. Und schön bin ich schon gar nicht. Ich bin gerade mal achtzehn Jahre alt und habe gerade mal einen einfachen Hauptschulabschluss. Und heute habe ich einen gewalttätigen Mann geheiratet, den ich kaum kenne.
    Verzweifelt versuche ich, in meinem Tagtraum Zuflucht zu finden. Doch ich weiß, die Zeit des Träumens geht dem Ende entgegen. Die Wirklichkeit wird mich einholen. Und ich ahne noch nicht einmal, wie bald das sein wird.

    Kaum waren die Überreste des Hochzeitsmahls aufgegessen und alles wieder aufgeräumt, die schönen Kleider ausgelüftet und in die Schränke gehängt, begann Refik mir wieder sein wahres Gesicht |75| zu zeigen. Meiner Familie schien es nur natürlich, dass wir nach unserer Hochzeit viel Zeit alleine miteinander verbringen wollten. Dabei war nicht ich es, die das wollte. Er wollte es. Und er schlug mich, wann immer es ihm gefiel. Er passte mich im Flur ab, oder wenn ich von der Arbeit nach Hause kam. Er überredete mich dazu, mit ihm das Haus zu verlassen, und sobald ihm auch nur ein Blick von mir nicht passte, ließ er mich seine Fäuste spüren. Ich wollte mir seine Schläge nicht gefallen lassen, aber ich hatte keine Chance. Ein Wort gab das andere, und schon prügelte er auf mich ein. Dabei sah er sich stets vor, dass niemand von meiner Familie es bemerkte, und dass er nie mehr in die Fänge der Polizei geriet.
    „Wenn du irgendjemandem etwas erzählst“, sagte er, „dann bring ich dich um. Ich leg hier alles in Schutt und Asche, das kannst du mir glauben.“ Und ich glaubte ihm. Halb wahnsinnig vor Angst hielt ich den Mund.
    Ich habe schon erwähnt, dass in der Kultur meiner Eltern die Brautnacht während der traditionellen Hochzeit heilig ist, und das jungfräuliche Blut allen Anwesenden zur Schau gestellt werden muss. Bleibt das aus, ist das Leben der Braut verwirkt. Es war völlig ausgeschlossen, dass wir vor unserer Hochzeitsnacht miteinander Verkehr hatten. Das wusste auch Refik nur zu genau. Dennoch ließ er mir keine Ruhe. Ich wehrte mich entschlossen. „Nein“, sagte ich, „nein, nein, nein, das kommt nicht infrage.“
    Und dann, eines Abends, suchte er mich heim. Es geschah im Haus meiner Eltern. In meinem eigenen Mädchenzimmer. Ich drohte, zu schreien, meine Eltern zu alarmieren, deren Schlafzimmer genau über meinem lag.
    „Dann sage ich ihnen“, gab er hämisch zur Antwort, „dass du mich darum gebeten hast. Dass du ein verdorbenes Mädchen bist und nicht bis nach der Hochzeit abwarten kannst. Was meinst du, wem werden sie eher glauben?“
    Er hatte längst herausgefunden, wie wenig meine Mutter auf mich gab. Er hatte recht. Wenn ich mich jetzt wehrte und schrie, |76| sie würden allein mir die Schuld geben. Dann wäre ich die Schlampe, die „Hure Nummer eins“, wie meine Mutter zu sagen pflegte. Ich wehrte mich weiter, doch er war mir überlegen. Und irgendwann gab ich meinen verbissenen Widerstand auf und ließ es geschehen. Es hatte ja alles sowieso keinen Zweck.
    Bis heute ist es mir unmöglich zu schildern, was in dieser Nacht genau geschah. Obwohl ich jede einzelne Sekunde dieses fürchterlichen Geschehens immer wieder durchlebe. Ich habe einfach keine Worte dafür.
    Er tat mir Gewalt an. Danach war nichts mehr wie zuvor.

    Das Verrückteste dabei war, dass ich sogar so etwas wie erleichtert war, als es endlich vorüber war. Denn ich war tatsächlich noch Jungfrau gewesen. Nun war ich diese Bürde los, ein für alle Mal. Meine halbe Jugend hatte diese Angst über mir geschwebt wie ein Todesengel: dass ich meine Jungfräulichkeit zu bewahren hatte, und dabei immer die Befürchtung, dass ich sie durch irgendein Missgeschick bereits verloren haben könnte. Nun hatte ich sie verloren. Und mit ihr einen großen Teil meiner Selbstachtung.
    Während der folgenden Tage habe ich große Schmerzen und fürchte, er könnte mich irgendwie verletzt haben. Wie gerne würde ich jetzt einen Frauenarzt aufsuchen. Doch der einzige Gynäkologe, den ich kenne, ist auch der Arzt meiner Mutter, und ich traue ihm durchaus zu, dass er ihr alles erzählt. Und das ist undenkbar. Also beiße ich die Zähne zusammen und tue so, als sei alles in Ordnung. Aber nichts ist in Ordnung. Ich bewege mich in meiner Familie, und während niemand von ihnen ahnt, wie furchtbar ich verletzt wurde, lächle ich. Ich ertrage Refiks triumphierende Blicke, mit denen er mich verschlingt, die mir sagen, dass ich ihm gehöre, ihm allein. Und dass er mit mir machen wird, was immer er will, heute,

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