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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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Schläge meines Mannes hatte sie sich derart verformt, dass der Höckerknochen inzwischen seitlich aus der Nase herausstach. Ich sah fürchterlich aus, bekam kaum noch Luft und hatte dauernd Nasenbluten. Als ich einmal doch wegen einer Erkältung zum Spezialisten ging, sagte der: „Meine Güte, Sie müssen sich unbedingt die Nase richten lassen, die ist ja total kaputt.“ Aber mir war klar, dafür musste der Operateur sie noch einmal brechen, und ich wusste aus schmerzhafter Erfahrung, wie verdammt weh das tat. Und so unternahm ich nichts.
    Als ich einundzwanzig Jahre alt war, im dritten Jahr unserer Ehe, war ich so verzweifelt, dass ich dachte, jetzt muss etwas passieren. Ich muss unter allen Umständen versuchen, etwas aus meinem Leben zu machen, ansonsten kann ich mich auch gleich vor den nächsten Zug werfen. Also ging ich heimlich zum Arbeitsamt und versuchte dem Sachbearbeiter, meine Situation zu erklären. Dass ich lange krank gewesen sei und aufgrund meines Nierenleidens keine schwere körperliche Arbeit machen könne. Ob es denn etwas für mich gäbe, ich würde so gerne noch weiterlernen, eine Ausbildung machen, eine Umschulung, irgend etwas, um einen richtig guten Beruf zu erlernen, mit dem ich später einmal viel Geld verdienen könnte. Der Mann starrte mich an, als spräche ich Chinesisch.
    „Naja“, sagte er schließlich, „da gibt es schon etwas. Doch dazu braucht man Abitur. Mindestens die Mittlere Reife.“
    |98| Ich war sofort Feuer und Flamme.
    „Ich habe immer gut gelernt“, sagte ich, „war die Klassenbeste. Ich kann alles aufholen. Bitte, geben Sie mir eine Chance.“
    „Na gut“, meinte der Sachbearbeiter, „da müssen Sie ohnehin eine Aufnahmeprüfung machen. Von mir aus können Sie es ja mal versuchen.“
    Natürlich ging ich hin. Die Prüfung bestand aus drei Teilen: Mathematik, Deutsch und Allgemeinwissen. Direkt im Anschluss wurden uns die Ergebnisse bekannt gegeben. Als mich die Prüfer hereinriefen, teilten sie mir mit, dass ich keine der drei Prüfungen bestanden hatte.
    „Wir können Sie nicht aufnehmen“, sagte eine der Damen der Prüfungskommission.
    Ich brach weinend zusammen. Und als ich wieder sprechen konnte, erklärte ich dem bestürzten Prüfungskomitee, dass es für mich um mehr gehe, als um irgendeine Ausbildung. Es gehe darum, mein Leben zu retten. Ich erzählte ihnen von meinem verkorksten Leben, und dass ich immer eine gute Schülerin gewesen sei, bis mir meine Eltern die Möglichkeiten zum Weiterlernen nahmen und mich stattdessen verheirateten. „Bitte“, flehte ich, „ich brauche diese Chance, und ich schwöre, dass ich alles dafür tun werde, um meine Sache gut zu machen.“
    Sie baten mich, noch einmal vor der Tür zu warten. Es dauerte eine ganze Weile, und ich schickte ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel. Schließlich riefen sie mich wieder herein.
    „Wir wollen Ihnen eine Chance geben“, sagte die Dame. „Sie dürfen die Ausbildung beginnen. Bei den Prüfungen wird man ja dann sehen, ob Sie wirklich in der Lage sind, all das Versäumte nachzuholen.“
    Überglücklich bedankte ich mich und stellte noch eine wichtige Frage, an die ich vorher gar nicht gedacht hatte: „Um welchen Beruf geht es eigentlich bei dieser Ausbildung?“
    Da guckten sie mich aber nun doch etwas seltsam an.
    |99| „Wenn Sie fleißig lernen“, sagte eine Frau schließlich schmunzelnd, „dann können Sie am Ende Steuerfachgehilfin werden.“
    Steuerfachgehilfin. Darunter konnte ich mir nichts vorstellen. Unter „Gehilfin“ schon, ich war schließlich schon Putzhilfe. Man würde mich doch nicht etwa zu einer Putzgehilfin ausbilden?
    „Machen Sie sich darauf gefasst“, fuhr die Frau fort, „dass es eine der schwierigsten Ausbildungen überhaupt ist. Sie müssen sich sehr anstrengen, wenn Sie das schaffen wollen. Aber wenn Sie Ihr Leben retten wollen, dann werden wir Ihnen nicht im Weg stehen.“
    Und damit drückte sie mir eine Liste mit Buchtiteln in die Hand, die ich besorgen sollte.

    Die Bücher bestellte ich mir auf der Stelle in einer Buchhandlung. Und nachdem ich sie abgeholt hatte, blätterte ich sie ehrfurchtsvoll durch. Ich verstand nicht einmal die Titel, die vorne auf den Deckeln standen. Und in einem der Bücher entdeckte ich immer wieder so ein seltsames Zeichen. Es kam mir bekannt vor, irgendwo vor langer Zeit hatte ich so etwas schon einmal gesehen. Und dann fiel es mir wieder ein. Es war das Paragraphenzeichen, das ich sooft auf den Schreiben

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