Loewinnenherz
schlug uns trotzdem wann immer ihm danach war.
Eines Tages schließlich hielt ich es nicht mehr aus und rief die Polizei, nachdem Refik Berna und mich verprügelt hatte. Er versteckte inzwischen meinen Pass, und als die beiden Beamten kamen, saß er friedlich auf dem Sofa und tat, als könne er kein Wässerchen trüben. Und so konnten die Polizisten nichts unternehmen. Beim Gehen steckte mir einer der Männer die Telefonnummer des Erlanger Frauenhauses zu. Und tatsächlich fand ich den Mut der Verzweiflung und packte am nächsten Tag, solange Refik bei der Arbeit war, ein paar Sachen, nahm Berna und flüchtete ins Frauenhaus. Nach einer Woche jedoch kehrte ich wieder nach Hause zurück. Die Alternative wäre gewesen, meine gesamte Familie zu verlieren. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, meine Schwägerin Gülay, die ich liebte wie eine Schwester, nie wieder zu sehen. Seit meiner Schwangerschaft war sie meine einzige heimliche Vertraute, der ich alles erzählen konnte, denn sie schwieg wie ein Grab. Auch meine Nichte nicht mehr sehen zu dürfen schien mir unmöglich. Und dann ganz allein in der Welt zu stehen und womöglich noch meine Brüder gegen mich zu haben, von meinem Vater ganz zu schweigen, dazu fühlte ich mich nicht in der Lage. Ich hatte noch immer nicht begriffen, dass ich auch so schon völlig auf mich allein gestellt war.
Hatte ich vor meiner Rückkehr aus dem Frauenhaus gehofft, dass meine Abwesenheit Refik eine Lehre gewesen war, so sah ich mich getäuscht. Und so steckte ich in einer Zwickmühle ohne Ausweg. Ich konnte über meine Prügel nicht sprechen, weil ich nicht wusste, was ich mehr fürchten sollte: Die Gewalttätigkeit meines Vaters, der seinen Schwiegersohn umgebracht hätte, oder die Brutalität meines Ehemanns, der mir ständig drohte, meine gesamte Familie und mich auszulöschen, sollte ich je |96| den Mund aufmachen. Schon lange war klar, dass eine Scheidung nicht infrage kam. Als ich dieses Thema das erste Mal ansprach, schlug er mich fast tot. Wenn ich es später noch einmal wagte, dieses Wort in den Mund zu nehmen, packte er mich an den Haaren und hielt mir ein offenes Messer an den Hals.
„Eher bringe ich dich um“, sagte er. „Ich schneide dir die Kehle durch. So, siehst du. Oder ich fackel dich ab. Ich sperre dich ein, dich und das Kind, und dann zünde ich das Haus an. Eine Scheidung gibt es nicht. Ich bring dich um. Dich, das Kind und dann mich.“ Mir war längst klar, dass er zu allem fähig war.
Ich weiß heute nicht mehr, wie es mir gelang, diese Jahre zu ertragen. Und auch die Menschen, die mich heute kennen, meine Zielstrebigkeit und meinen starken Willen, mein Temperament und meinen Humor, können sich nicht vorstellen, dass ich das alles so lange mitgemacht habe.
Ich hätte diese Zeit nicht überlebt, hätte ich nicht zwei Identitäten parallel gelebt. Zum einen war da die perfekte, ihrem Ehemann hörige Hausfrau, die die Wohnung sauber hielt, kochte und backte, die Wäsche machte, ihr Kind versorgte, ihrem Mann stets zu Willen war, und zu allem, was er sagte, nickte und schwieg. Zum anderen gab es die starke, selbstbewusste Şengül, die Kämpferin, die ihren Weg ging, auch wenn sie ihn selbst kaum erkennen konnte. Am Anfang kam meine zweite Seite nur in meinen Träumen vor. Diese Traumwelt war für mich wie eine Droge, sie war ein Überlebenselixier, mein Refugium. In meiner Ehe dagegen habe ich nicht gelebt, ich habe nur funktioniert. Şengül, mach dies; Şengül, mach das. Und Şengül machte dies und das andere auch. Ohne Widerspruch.
Doch je länger Refik mich quälte, desto mehr gerieten meine beiden Identitäten durcheinander. Das geschah, ohne dass ich es merkte. Mein Mann sagte etwas Falsches, und schon widersprach ich ihm. Denn was die Intelligenz anlangte war ich meinem Ehemann haushoch überlegen. Auch er wusste das. Und schlug mich darum umso mehr.
|97| Ich aber hatte einen solchen Hunger nach Wissen. Ich wollte lernen, ich wollte etwas aus meinem Leben machen. Aber wie um alles in der Welt sollte ich das in meiner Situation bewerkstelligen?
Während unseres zweiten Jahres in Erlangen schlug er Berna und mich erneut so brutal, dass ich mich wieder für eine Woche ins Frauenhaus flüchtete. Im Grunde ging ich einmal pro Jahr dorthin, und fast ebenso regelmäßig brach mir mein Ehemann die Nase. Schon seit meinem fünfzehnten Lebensjahr, als ich beim Schlittschuhlaufen aufs Gesicht gefallen war, hatte ich eine Höckernase. Und durch die
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