Loewinnenherz
ich aus wie eine Mustertürkin. Doch kaum mache ich den Mund auf, bin ich eine waschechte Fränkin. Diese Mischung ist ungewöhnlich, sie hat es mir auch immer wieder leicht gemacht. Nichtsdestotrotz musste ich mich als Frau ständig beweisen – ausgerechnet ich, die ich Konflikte scheute und es hasste, die Stimme zu erheben. Mein Ehrgeiz war es, mir Respekt zu verschaffen, und dabei ich selbst zu bleiben: Şengül, die den Menschen wohl will und an ihre Vernunft appelliert. Und meistens bin ich damit auch gut gefahren.
Bei all dem schwebte mir immer die Anwältin vor, nach all den Jahren war mir ihr Vorbild nun nützlicher denn je. Wenn sie gesprochen hatte, erhielt sie die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer – und bei Gericht waren das nun mal auch meistens Männer. Wieder einmal war sie meine Lehrmeisterin und mein Maßstab, und jeden Abend fragte ich mich, ob ich meine Sache nicht nur inhaltlich und fachlich, sondern auch im zwischenmenschlichen Bereich gut gemacht hatte. Ich spielte die Gespräche und Situationen erneut gedanklich durch, lobte mich und sagte mir, wo ich es hätte besser machen können. Und mir wurde noch etwas klar: In vielen Bereichen sind Frauen kompetenter als Männer. Gerade im sozialen und zwischenmenschlichen Bereich besitzen wir Frauen häufig ein viel feineres Gespür für die Bedürfnisse und Absichten unseres Gegenübers. Und diese Fähigkeit kam mir gerade bei meinen Aufgaben als Personalleiterin sehr zugute.
Schön war auch, dass ich häufig mit Anwälten zu tun hatte. Auf diese Weise konnte ich mich im Arbeitsrecht bewegen, ohne selbst Jura studiert zu haben. Wenn es um juristische Schritte ging, für die wir schlussendlich einen Anwalt brauchten, dann erledigte ich die gesamte Vorarbeit, und das machte mir ungeheuren Spaß.
|163| Ich verdiente nicht schlecht in diesen Jahren, arbeitete nebenher sogar noch für drei verschiedene Steuerkanzleien, und so konnte ich es wagen, endlich eine größere Wohnung für Berna und mich zu suchen. Wir zogen in eine wunderschöne, frisch renovierte Vierzimmerwohnung mit hohen Decken und großen Fenstern, durch die viel Licht hereinfiel. Berna bekam ein eigenes Zimmer und war überglücklich. All die Jahre hatte sie mit mir das Bett teilen müssen, daher kaufte ich ihr jetzt ein besonders großes, 1,40 Meter breites Bett. Wir gestalteten das Zimmer in ihrer Lieblingsfarbe Blau mit bunter Bettwäsche, es wurde ein richtiger Berna-Traum, und ihre Freude war für mich das Allerschönste.
Das Wohnzimmer richtete ich eher schlicht ein, mit einem orangefarbenen Sofa und einem riesigen Fernsehgerät auf Rollen. Praktischerweise gehörte zu unserer neuen Wohnung auch ein Büro mit separatem Eingang, was für meine Nebentätigkeit im Bereich Steuer und Buchhaltung optimal war. Mein Lieblingsraum aber war meine neue Küche mit weinroten Küchenschränken und silbernen Griffen, die direkt neben dem Büro lag. Ich genoss es, mir in meiner Traumküche einen Kaffee zu holen, wenn ich im Büro arbeitete.
Ich war kurz davor, meine Schulden abzubezahlen, und begann langsam ein wenig aufzuatmen. Ich arbeitete sieben Tage die Woche, machte Sport, tanzte Hip-Hop und lernte nebenher noch immer auf diese verflixte Volkswirtschaftsprüfung, die mir schwer im Magen lag. Es ärgerte mich, dass ich diese Sache nun schon so lange mit mir herumschleppte. So schwer kann das doch nicht sein, sagte ich mir. Und so meldete ich mich für ein dreitägiges Seminar zum Thema Volkswirtschaft an, damit, so war ich mir sicher, müsste ich es doch endlich schaffen.
Leider stellte ich fest, dass dieses Seminar – so interessant es auch war – nicht den Stoff abdeckte, den ich für meine Prüfung brauchte. In einer Pause saß ich in der Cafeteria und dachte darüber nach, was ich denn anstellen könnte, um mir endlich diesen Lernstoff anzueignen. Da sah ich, wie einer der Referenten |164| ganz allein am Nachbartisch saß. Kurzerhand fasste ich mir ein Herz, setzte mich zu ihm und schilderte ihm mein Problem.
„Haben Sie vielleicht einen Tipp für mich“, fragte ich schließlich, „wie ich mich am besten auf die mündliche Prüfung vorbereiten kann?“
Der Mann sah mich lange an. Er stellte mir Fragen zu meinem Werdegang, ließ sich alles haarklein erzählen. Dann sagte er:
„Wissen Sie was? Ich bringe Ihnen bei, was Sie brauchen.“
Ich war überrascht.
„Sie? Geben Sie denn solche Kurse?“
„Normalerweise nicht“, sagte er und lächelte, „aber ich mach
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