Loewinnenherz
einfach mal eine Ausnahme. Wenn Sie wollen, können wir gleich nächste Woche anfangen.“
Ich war verwirrt. Und freute mich.
„Sie meinen … Einzelunterricht?“
„Ja“, nickte er, „genau. Sie kommen zu mir und ich erkläre Ihnen den Stoff. Ist gar nicht so schwer. Sie werden sehen.“
„Und was soll der Unterricht kosten?“
„Nichts.“
„Nichts?“
„Ich finde, jemand, der so fleißig lernt und so hart arbeitet wie Sie und auch noch ganz allein ein Kind großzieht, der kann auch mal etwas umsonst bekommen.“
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Mir war, als habe das Schicksal beschlossen, ich hätte jetzt genug Unglück erlebt und würde nun beginnen, alles wieder auszugleichen. Und obwohl ich eine supervolle Woche mit sechzig oder siebzig Arbeitsstunden hatte, brachte ich noch die Unterrichtsstunden bei diesem freundlichen Professor der Volkswirtschaft unter. Drei Monate lang ging ich einmal die Woche zu ihm ins Büro. Er teilte den Lehrstoff in für mich leicht verdauliche Häppchen ein, ich schrieb mir alles auf Karteikarten und ordnete die Themen systematisch nach Farben. Das gefiel meinem Lehrer ausgesprochen gut. Noch heute stehen wir freundschaftlich in Kontakt, und immer noch schwärmt er von meinen Karteikartensystemen.
|165| „Das sollten meine Studenten mal übernehmen“, sagte er. Und ich war ungeheuer stolz.
Nach drei Monaten war ich soweit. Ich meldete mich zur Prüfung an und bestand sie. Und wieder einmal fiel mir ein Stein in der Größe eines Felsbrockens vom Herzen. Endlich war ich auch auf dem Papier, was ich schon seit mehreren Monaten in der Praxis war: Personalfachkauffrau.
Die Liebe kommt oft unverhofft
Es war in der Zeit, als ich jeden Abend bis spät in die Nacht auf die Prüfung lernte. Ich hatte mich von meinem Freund getrennt und war ziemlich einsam. Eines Abends rief mich eine Freundin an und sagte: „Şengül, wenn du so weitermachst, wirst du noch verrückt. Du musst mal wieder ausgehen, ein paar Leute sehen. Komm mit uns. Ich hab da ein paar richtig nette Jungs kennengelernt. Stell dir vor: einer ist sogar Pilot!“
Pilot! Als ob mich das vom Hocker reißen würde. Also sagte ich ihr, ich könne nicht los, weil ich viel zu viel zu lernen habe. Ich büffelte bis elf Uhr, merkte aber, dass ich mich nicht mehr richtig konzentrieren konnte. Meine Freundin hatte recht: Ich brauchte eine Pause. Und so wählte ich ihre Handynummer.
„Wo seid Ihr?“, fragte ich. Und schon war ich unterwegs.
Als ich zu meinen Freunden stieß, waren da fast zwanzig Leute versammelt, von denen ich einige noch nie gesehen hatte. Wir gingen in eine unserer Stammdiskotheken, und dort verausgabte ich mich endlich mal wieder so richtig, tanzte leidenschaftlich Hip-Hop und vergaß alles um mich herum. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich sehr wohl, dass mich da einer die ganze Zeit beobachtete, doch ich achtete nicht darauf. Ich war müde, überdreht und wollte mich einfach nur auspowern.
Später gingen wir zu viert noch zu einem Freund, um einen Kaffee zu trinken und ein bisschen zu quatschen. Da war er wieder, |166| stellte sich als Attila vor und ließ keinen Zweifel daran, wie toll er mich fand. Bald fand ich heraus, dass er der Pilot war, und während alle anderen das super fanden, ließ mich das mehr als kalt. Ich erklärte Attila, dass ich niemals mit einem Piloten zusammen sein wollte, weil ich vor Angst um ihn sterben würde, wenn er da ständig über den Wolken schwebte. Davon ließ er sich allerdings nicht im Geringsten abschrecken, hörte nicht auf, mit mir zu flirten. Mir aber war das alles nur lästig. Ich hatte keine Zeit für so etwas, mein Kopf war voll von der Prüfung, und ich dachte in dieser Nacht nur: Meine Güte, wie werde ich diesen Kerl nur wieder los?
Als ich zwei Monate später wieder einmal mit meiner Freundin telefonierte sagte sie: „Du, der Attila wollte unbedingt deine Telefonnummer haben. Er sagt, er hat eine CD für dich mit der Musik, die du an dem Abend in der Disko so toll fandst. Ich hab sie ihm gegeben …“
Ich regte mich schrecklich auf.
„Wie kommst du dazu, ihm meine Nummer zu geben, ohne mich vorher zu fragen?!“, schimpfte ich.
Doch da war es ohnehin schon geschehen. Ich weiß nicht mehr, wie viele Wochen und Monate ich Attila vertröstete, bis ich endlich ein, zwei Mal mit ihm essen ging. Noch immer funkte es nicht bei mir, während er, das war deutlich zu sehen, bis über beide Ohren in mich verliebt war. Aber ich hatte mir derart
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