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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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fest vorgenommen, mich niemals in einen Piloten zu verlieben, dass die Hürde wirklich hoch war.
    Eines Tages hatten wir eine wichtige Sitzung in der Firma, und ich musste mittendrin einige Akten aus meinem Büro holen. Ich lief hektisch die Treppe hinunter, als mein Handy klingelte. Ich sah, dass es Attila war. Und fragte mich noch: Soll ich drangehen? Oder lieber nicht?
    Warum ich den Anruf in einer Situation annahm, in der ich überhaupt keine Zeit für ein privates Gespräch hatte, ist mir bis heute nicht klar. Ich hörte ihn sagen:
    „Ich sitze hier gerade in Antalya am Meer und dachte mir, |167| ich ruf mal die Şengül an und frag sie, ob ich ihr etwas mitbringen soll. Hast du einen Wunsch?“
    Ich lauschte in den Hörer. Da war doch tatsächlich im Hintergrund Meeresrauschen zu hören, und ich dachte: Hey, das gibt es doch gar nicht. Da sitzt also dieser Mann am Strand und denkt an mich!
    „Danke, Attila“, sagte ich verwirrt, „ich brauche nichts aus der Türkei. Aber wenn du wieder zurück bist, dann ruf mich doch mal an.“
    Benommen ging ich zurück in den Besprechungsraum, mein Herz klopfte wie wild, und immer wieder musste ich denken: der sitzt dort am Meer und denkt an mich … In mir breitete sich ein warmes Gefühl aus, das immer heißer wurde und mich mit Glücksfäden durchzog. Und dann sagte ich mir: „Wenn der zurück ist, dann schnappst du ihn dir.“
    Als Attila wieder in Nürnberg war, gingen wir miteinander essen. Und – Pilot hin oder her – spätestens an diesem Abend verliebte ich mich mit Haut und Haaren in diesen wunderbaren Mann.
    Es war genau so, wie es mir Fatima, das Mädchen im Frauenhaus, viele Jahre zuvor prophezeit hatte. Ich hatte eine Weile gebraucht, bis ich meinen Traummann erkannt hatte. Und ich hatte mich zunächst gegen die große Liebe gesträubt, aber nun war ich glücklich.
    Es mag paradox klingen – aber für mich war es gar nicht einfach, zu glauben, dass ein Mann wirklich so gut zu mir sein könnte. Ich war ein gebranntes Kind, hatte den schlimmsten Ehemann gehabt, den man sich denken konnte. Und nun sollte ich mit dem genauen Gegenteil zusammen sein? Eine starke Kraft in mir wollte das lange nicht für möglich halten. Attila war einfach zu perfekt, zu attraktiv, zu liebenswert. Er ist vier Jahre jünger als ich, und in mir meldeten sich tausend Bedenken, dass er nicht reif genug wäre, um für ein schwieriges Kind wie Berna da zu sein. Doch auch hier bewies er mir, dass meine negativen Erwartungen völlig unbegründet waren. Zu sehen, wie |168| liebevoll er mit meiner Tochter umging, trieb mir die Tränen in die Augen. Obwohl schon damals deutlich war, dass irgendetwas in ihrer Entwicklung nicht stimmte, behandelte er sie ganz normal, mit derselben Herzlichkeit, mit der er seine eigene Familie und Freunde bedachte. Er liebt Kinder und kann unglaublich gut mit ihnen umgehen, und Berna schloss ihn vom allerersten Augenblick an fest in ihr Herz. Attila war voller Ideen und nahm Berna auf Ausflüge mit, unternahm mit ihr Dinge, die sie noch nie erlebt hatte. Und er erkannte ihr Anderssein. „Da stimmt etwas nicht“, sagte er, „wir sollten herausfinden, was mit ihr los ist. Nur dann können wir ihr wirklich helfen.“
    Wie gesagt, man merkt Berna ihre Behinderung nicht auf den ersten und auch nicht auf den zweiten Blick an. Selbst in der Schule blieb sie lange unauffällig, bis wir erfuhren, dass sie immer wieder dem Unterricht ferngeblieben war. Manchmal war sie sofort weggelaufen, nachdem wir sie in die Schule gebracht hatten, und mehrmals mussten wir sie von der Polizei suchen lassen. Man fand sie dann im Park, wo sie spazieren ging. Wenn wir sie fragten, warum sie weggelaufen war, bekamen wir keine Antwort.
    Ich war damals sehr verzweifelt. Mein Arbeitspensum war noch immer dasselbe, ich schuftete rund um die Uhr, sieben Tage die Woche und machte mir schreckliche Sorgen um Berna. Wir verdanken es Attilas Beharrlichkeit, dass wir uns nicht länger von inkompetenten Ärzten vertrösten ließen. Wir fanden schließlich einen Spezialisten, der herausfand, dass Berna weder krank noch verhaltensgestört war, sondern schlicht und einfach eine Behinderung hatte. Aus diesem Grund fühlte sie sich in der Schule so unwohl, denn sie hatte Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Wobei „Schwierigkeiten“ untertrieben ist – sie fühlte sich derart überfordert, dass sie, da sie ihre Probleme nicht artikulieren konnte, immer öfter und länger aus der Schule

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