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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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dass ich es geschafft hatte. Diese erste Begegnung mit den Menschen, für die ich von nun an zuständig war, zeigte mir, dass ich ein großes Etappenziel in meinem Leben erreicht hatte. Die kleine Şengül |160| besaß nun eine Aktentasche und bekleidete eine Führungsposition! Und ich nahm mir vor, alles für die Menschen zu tun, für die ich in Zukunft zuständig war.

    |159| Mit Aktentasche!
    Auch das erste Meeting, an dem ich teilnahm, war ein unvergessliches Erlebnis für mich. Wir waren zwei Frauen und vierzehn Männer, und immer wieder musste ich mich heimlich in den Oberarm kneifen, um mir klarzumachen, dass das alles wirklich wahr war. Ich wurde nach meinen Ideen zum Thema Personalarbeit gefragt, man hörte mir zu, und ich hatte auch etwas zu sagen. Ich spürte aber auch, dass einige mich skeptisch musterten und ich konnte ihre Gedanken förmlich lesen: „Was will diese junge Türkin hier, die hat doch keine Ahnung.“

    Ich war nun das Bindeglied zwischen der Führungsebene und den Mitarbeitern samt Betriebsrat. Ich war maßgeblich an Personalentscheidungen beteiligt und musste mich um die Auszubildenden kümmern. Zu meinen Aufgaben gehörte es auch, Vorstellungsgespräche zu leiten und, wenn es nötig wurde, die Firma bei Arbeitsrechtsfällen vor Gericht zu vertreten.
    Meine Vorgängerin war nur während meiner ersten beiden Wochen noch in der Firma, danach stand ich ganz alleine da und musste mich in all das erst hineinfinden. Wieder einmal musste ich ganz von vorne beginnen, Schritt für Schritt vorankommen. Ich achtete sehr darauf, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, und es war schon ein komisches Gefühl, nun plötzlich „auf der anderen Seite“ zu stehen, nicht mehr die einfache Sachbearbeiterin zu sein, sondern zur Führungsebene zu gehören. Ich bereitete alle Gespräche sorgfältig vor, was mir während meiner vielen unterschiedlichen Termine sehr zugute kam. Jeden Morgen sagte ich mir aufs Neue: „Şengül, jetzt bist du der Boss. Du musst heute die Gespräche leiten, du musst heute die anderen führen.“ Und obwohl das alles ungeheuer aufregend und stressig war, genoss ich es von Anfang an in vollen Zügen und bemühte mich, jederzeit das Beste zu geben.
    |161| Schnell wurde mir jedoch klar, dass viele Kollegen den Eindruck hatten: „Aha, das ist eine junge Frau, mit der reden wir mal so, wie es uns gerade passt.“ Und so wurde es wichtig, mir von Anfang an eine gewisse Autorität zuzulegen. Aus der Kanzlei war ich es gewohnt, mit allen gut befreundet zu sein, auch auf privater Ebene, doch das war nun nicht mehr angebracht. Als Personalleiterin musste ich mit allen Angestellten gleich umgehen, durfte niemanden zu nahe an mich heranlassen, und bei aller Freundlichkeit stets eine gewisse Distanz wahren. Ein einziger Lapsus konnte mich die gesamte Achtung und Autorität kosten.
    Es gab unter meinen männlichen Kollegen in der Führungsebene leider auch einige, die mich wegen meines Alters und meines Geschlechts nicht ernst nahmen. Besonders mit zwei Kollegen hatte ich richtige Kämpfe. Da musste ich mitunter auch Klartext reden und sie in ihre Schranken weisen. Einen dieser Kollegen konnte ich von meiner Kompetenz überzeugen, indem ich mit seiner Tochter, die nicht wusste, was sie beruflich machen wollte, ein Gespräch führte und ihr half, in einem Partnerunternehmen einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
    In vielerlei Hinsicht war dieser Anfang gut für mich, auch wenn es eine harte Schule war. Zum ersten Mal musste ich mich innerhalb des eigenen Betriebs behaupten. In der Kanzlei waren wir eine eingeschworene Gemeinschaft gewesen, zwischen den Kollegen hatte es keine Konkurrenz gegeben. Nun musste ich lernen, innerhalb der Führungsebene meinen Platz zu verteidigen und verantwortlich und souverän meine Arbeit zu tun. Auch wenn diese Zeit ungeheuer anstrengend war, war ich dennoch überglücklich. Ich hatte erreicht, was ich mir erträumt hatte: Ich hatte eine Aufgabe, die ich selbst gestalten konnte, trug Verantwortung. Das bedeutete natürlich auch mehr Stress und mehr Konflikte. Damals lernte ich eine wichtige Regel: je höher man auf der Karriereleiter steigt, desto mehr muss man sich behaupten. Vor allem als Frau, vor allem als Migrantin. Wobei ich nie den Fehler machte, und irgendwelche Konflikte und Probleme |162| darauf schob, dass man mich als Türkin nicht akzeptierte. Ich kann wirklich sagen, dass ich in meinem ganzen Leben nie Fremdenhass erfahren habe. Dabei sehe

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