Loewinnenherz
würde. Und je länger das dauerte, desto größer wurden meine Angst und meine Panik. Je netter er war, desto fürchterlicher, so dachte ich, würde dieses Monster am Ende sein.
In meiner ersten Ehe spielte Eifersucht eine große Rolle, für Attila war das kein Thema. Er vertraute mir. Punkt. Stattdessen begann nun ich, ihn mit inquisitorischen Fragen zu quälen: „Wo bist du gewesen?“ „Mit wem hast du eben telefoniert?“ „Wer war die Frau, der du zugelächelt hast?“
Ich hasste mich dafür, doch der Drang, unsere wunderbare Beziehung infrage zu stellen und sie als Scheinfassade zu entlarven, war stärker. Als zwänge mich eine unsichtbare Macht dazu, nun all die Fehler meines ersten Ehemanns zu übernehmen, reagierte ich zunehmend aggressiv und unberechenbar. Ich kannte mich selbst nicht mehr.
Eines Tages war es sogar Attila zu viel.
„Ich verlasse dich“, sagte er. „Du bist vollkommen durchgeknallt |174| und krank. Ich liebe dich. Doch das, was du hier abziehst, das halte ich nicht mehr länger aus.“
Da war es, als fiele ein Schleier von meinen Augen. Ich erkannte, dass er recht hatte, und dass das Monster, das ich tagtäglich bei ihm erwartete, sich bereits in mir selbst eingenistet hatte. Eine schreckliche Kraft, die alles, was gut und schön in meinem Leben war, zerstören wollte. Und so willensstark ich auch in meinem Beruf sein konnte – dieser dunklen Macht war ich vollkommen ausgeliefert. Doch nicht nur Attila liebte mich, auch ich liebte ihn, und zum Glück war mein Selbsterhaltungstrieb noch intakt genug, um das zu erkennen.
„Bitte geh nicht“, flehte ich Attila an. „Du hast recht. Ich werde mich ändern, ich mache eine Therapie. Glaub mir, ich brauche Hilfe …“
Und dann erzählte ich ihm zum allerersten Mal ein bisschen von dem, was ich in meiner Ehe erlebt hatte. Und bat ihn inständig, ja, sogar auf Knien, mich jetzt nicht im Stich zu lassen.
„Gut“, sagte er schließlich, sichtlich schockiert von dem, was er da gehört hatte, „dieses Mal bleibe ich noch. Aber das muss wirklich anders werden, Şengül, sonst machst du alles kaputt.“
Gleich am nächsten Tag suchte ich mir eine Therapeutin. Und in den folgenden Jahren bearbeitete ich systematisch und mit derselben Konsequenz, mit der ich meine beruflichen Dinge angehe, die schweren Traumata meiner Vergangenheit.
„Es ist ein großes Wunder“, sagte diese Frau, „dass sie überhaupt in der Lage sind, eine Beziehung zu führen.“
„Aber ich will“, antwortete ich, „dass sie Bestand hat. Ich will nicht zulassen, dass meine Vergangenheit meine Zukunft zerstört.“
Indessen gingen die Schwierigkeiten in der Firma weiter. Es gab mehrere Mitarbeiter, die die Firma verklagten, und wir trafen uns vor Gericht wieder. Die Gewerkschaftsanwälte vertraten die Gegenseite, ich vertrat zusammen mit einem Rechtsbeistand die |175| Firma. Die Verhandlungen selbst spornten mich an, auf diesem Gebiet weiterzulernen, und am Ende traf der Richter ein gerechtes Urteil. Das Schlimme daran war für mich, dass ich den Betroffenen ihr Kündigungsschreiben in die Hand drücken musste. Das machte mir eine Menge aus, und mit der Zeit spürte ich, wie mich das innerlich auffraß.
Irgendwann war es soweit, dass es mit der Entlassung einzelner Abteilungen nicht mehr getan war. Die Firma beantragte die Insolvenz, und ein Konkursverwalter kam ins Haus. Mit einem Schlag wurden keine Löhne mehr ausbezahlt. Drei Monate lang gab es Insolvenzgeld, das wie üblich das Arbeitsamt übernahm. Und alle Aufgaben, die damit verbunden waren, musste ich als Personalleiterin übernehmen.
Immer mehr fühlte ich mich wie ein Weizenkorn, das zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben wird. Da waren zum einen die Belegschaft und die Firma, zum anderen die Insolvenzverwaltung, für die ich nun arbeiten musste. Während dieses unschönen Verfahrens lief nicht alles glücklich, und ich kämpfte dafür, dass die verbliebene Belegschaft und die Rentner wenigstens die würdigste Behandlung erfuhren, die unter diesen Umständen möglich war. Es kam zu Nachlässigkeiten, die ich nicht zu verantworten hatte, die aber dafür sorgten, dass unsere achthundert Pensionäre über mehrere Monate hinweg keine Rentenzahlungen erhielten, und das empörte mich zutiefst. Vor allem, als dann noch so getan wurde, als sei ich verantwortlich für diesen Fehler. Es war eine unschöne Zeit, in der ich Dinge lernte und Erfahrungen machte, auf die ich gerne verzichtet
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