Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
Vom Netzwerk:
meine Überraschung, als mir der Spezialist mitteilte, dass mit meinen Nieren samt der Blase alles in Ordnung sei.
    „Alles in Ordnung?“, wiederholte ich überrascht.
    „Sie haben zwar immer noch eine Schrumpfniere, die nur zu sechzig Prozent arbeitet“, sagte er, „aber wir haben eine gründliche Untersuchung gemacht, die ergeben hat, dass es nicht zu einem Nierenstau kommen wird. Der Fluss der Niere ist ohne Auffälligkeiten.“
    Ich glaubte, nicht richtig zu hören. So viele Jahre lang war ich chronisch krank gewesen. Und jetzt war alles in Ordnung!
    „Einer Schwangerschaft steht meiner Meinung nach nichts im Weg“, fügte der Arzt hinzu.
    Das waren Neuigkeiten! Ich war unendlich froh darüber, aber auch voll des Staunens. Wie konnte das sein? Hatte mich mein Unglück so schwer krank gemacht, die Repression meiner Mutter und schließlich die unerträgliche Situation, gegen meinen Willen heiraten zu müssen und einen Mann zu ertragen, den ich nicht nur nicht liebte, sondern der mich jahrelang quälte? Hatte es genügt, mich von all dem zu befreien, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und meinem Freiheitsdrang und Wissensdurst keine Grenzen zu setzen, um mich selbst zu heilen? Auch Berna war nur mit einer Niere zur Welt gekommen, was wir aber erst erfuhren, als sie bereits drei Jahre alt war. Ist es nicht seltsam, wie sehr die Redewendung „das geht mir an die Nieren“ auf uns beide zutraf?
    „Wunderbar“, strahlte Attila, als er die gute Neuigkeit erfuhr. „Dann kriegen wir jetzt ein Kind. Was hältst du davon, wenn wir heiraten?“
    Heiraten? Etwas schien meine Kehle zuzuschnüren. Ich hatte |172| mir geschworen, nie wieder zu heiraten. Noch immer saß mir meine letzte Ehe zu tief in den Knochen.
    „Wir können doch auch zusammen glücklich sein, ohne zu heiraten“, sagte ich.
    Attila sah mich an. Die Traurigkeit in seinen wunderschönen grünen Augen tat mir weh.
    „Und das Kind?“, fragte er.
    „Das Kind“, sagte ich zärtlich, „das bekommen wir.“

    Nur wenige Wochen später wurde ich schwanger. Attila tanzte vor Freude durch die Wohnung, als ich vom Frauenarzt kam. Alles schien in bester Ordnung. Ich fühlte mich gut, freute mich auf das Kind. Dann kam die zweite große Welle der Entlassungen in meiner Firma. Beim ersten Mal war die Fertigung betroffen gewesen. Jetzt ging es um die Entwicklungsabteilung. Die Verhandlungen gestalteten sich schwierig, das Ganze belastete mich sehr, und dann passierte es: Ich bekam starke Blutungen. Bei meinem Frauenarzt erfuhr ich, dass ich das Kind verloren hatte. Eine Ausschabung wurde vorgenommen und ich musste eine Nacht in der Klinik verbringen. Attila war gerade als Pilot unterwegs, und ich schärfte Berna ein, dass sie ihm, sollte er von unterwegs anrufen, auf keinen Fall erzählen sollte, was mit mir los war. Aber Berna kann nun mal nicht lügen. Als Attila anrief und fragte, wo ich sei, meinte sie:
    „Das darf ich nicht sagen.“
    „Berna“, entgegnete Attila mit strenger Stimme, denn der Schreck war ihm bereits in die Glieder gefahren, „du sagst mir jetzt sofort, wo die Mama ist, sonst gibt’s Ärger.“
    „Ok“, räumte die arme Berna ein, „die Mama ist im Krankenhaus, weil sie das Baby verloren hat.“
    Attilas Kollegen erzählten mir später, er habe den ganzen Tag geweint.
    „Wir bekommen ein Baby“, tröstete ich ihn, als wir endlich wieder zusammen waren, „ganz bestimmt.“
    Doch zunächst sah es ganz und gar nicht danach aus.
    |173| Was wirklich zählt im Leben
    Der Stress, den ich in meiner Funktion als Personalleiterin in der Motorradfirma hatte, war unbeschreiblich. Denn neben der zweiten Entlassungswelle, die mich eine Menge Kraft und Nerven kostete, musste ich mich noch immer unter all diesen männlichen Kollegen behaupten, musste Tag für Tag meine Frau stehen und die schwierigsten Situationen meistern.
    Meine Nerven lagen blank, und auch mit Attila hatte ich nun immer wieder Streit. Dabei lag das alles nur an mir.
    Kann man einem Mann vorwerfen, dass er zu gut zu einem ist? Paradoxerweise war das bei mir und Attila der Fall. Er war wunderbar, doch ich konnte das einfach nicht annehmen. Ich hatte noch nie zuvor erlebt, dass eine Beziehung so harmonisch und liebevoll sein kann und noch dazu ohne jeden Hintergedanken. Weder zu Hause noch in meiner ersten Ehe hatte ich solche Erfahrungen gemacht, und ich war felsenfest davon überzeugt, dass eines Tages auch aus Attila das gut verborgene Monster an die Oberfläche kommen

Weitere Kostenlose Bücher