Loewinnenherz
musste kommen, doch was, das würde sich erst noch zeigen. Zunächst wurde ich Mutter, und darauf freute ich mich sehr.
Dennoch fiel mir die Entscheidung, meine Karriere zugunsten meiner Familie zunächst auf Eis zu legen, richtig schwer. Als ich jedoch spürte, wie sich das Kind in meinem Bauch zu bewegen begann, war das für mich wie ein Wunder. Da war jemand, und der rührte sich in meinem Bauch! Und mit jeder Faser meines Körpers hieß ich dieses neue Leben willkommen. Dieses Mal wünschte ich mir einen Jungen, der genau so werden sollte wie sein Vater, denn von der Sorte Männer, dachte ich mir, könnte es durchaus noch mehr geben auf dieser Welt. Als der Geburtstermin errechnet wurde, fiel er ausgerechnet auf Attilas Geburtstag. Und einige Wochen später erfuhren wir, dass wir tatsächlich einen Jungen erwarteten.
Die Geburt verlief ohne Komplikationen. Attila war dabei und unterstützte mich fabelhaft. Er atmete mit mir und hielt mich fest. Einmal fiel ihm vor Schreck eine Tasse aus der Hand, als ich beim Einsetzen einer Wehe einen lauten Schrei ausstieß.
|181| „Was schreist du denn so?“, fragte er mich. Und ich antwortete mit zusammengebissenen Zähnen: „Halt den Mund, das tut so weh!“
Und dann mussten wir beide wieder lachen, und weiter ging es mit Atmen und Pressen. Schließlich hielt Attila, auf den Tag genau dreißig Jahre nach seiner eigenen Geburt, seinen Sohn in den Händen.
„Diesmal muss ich kein Geburtstagsgeschenk mehr kaufen“, sagte ich erschöpft, „du hast es ja schon.“ Wir waren unendlich glücklich.
Doch dann musste ich an Berna denken. Mir wurde klar, dass ich für sie nie dieselben Gefühle empfunden hatte, wie in diesem Moment für meinen kleinen Sohn. Berna jedoch freute sich riesig über ihren Bruder und verstand sich vom ersten Augenblick prächtig mit ihm.
Dennoch. Früher hatte ich geglaubt, was ich mit Berna erlebt hatte, sei ganz normal. Nach der Geburt meines Sohnes musste ich unweigerlich wieder an die Umstände bei Bernas Geburt denken, und mir wurde bewusst, welch entsetzlicher Atmosphäre der Gewalt, der Angst und des Abscheus sie bereits im Mutterleib ausgesetzt gewesen war. Bei meinem Sohn konnte ich beobachten, wie empfindlich Kinder sind. Wenn jemand in seiner Gegenwart schreit oder er einfach nur ein lautes Geräusch hört, dann hält sich mein Sohn die Ohren zu oder fängt an zu weinen. Während Bernas früher Kindheit wurde tagtäglich geschrien, gebrüllt, geprügelt und geschlagen. Es tat mir in der Seele weh, dass es mir nicht möglich gewesen war, sie vor all dem zu bewahren.
Umso wohler tat es mir zu beobachten, welch große Liebe Berna und ihren Bruder verbindet. Und zu meinem eigenen großen Erstaunen lernte ich über die Mutterliebe zu meinem Jungen, Berna ebenfalls auf diese Weise zu lieben. Man kann sagen: Durch meine zweite Geburt habe ich erst richtig zu meiner Tochter gefunden.
Wir nannten unseren Sohn Deniz, das heißt „Meer“ auf Türkisch. Weil ich das Meer so liebe, und vielleicht auch, weil |182| ich damals das Meeresrauschen so deutlich durch das Handy hörte, als Attila aus Antalya anrief, um mir zu sagen, dass er an mich denke. Im Grunde war es dieser Augenblick, in dem ich mich in ihn verliebte.
Während Attila den Namen Deniz favorisierte, beharrte ich anfangs darauf, meinen Sohn Michael zu nennen.
„Warum ausgerechnet Michael?“, wollte Attila wissen.
Und so erzählte ich ihm zum ersten Mal, dass ich ohne Michael längst nicht mehr auf der Welt wäre und wir heute unseren Sohn nicht auf dem Arm haben könnten. Als er das hörte, nahm er mich fest in seine Arme. Mit Tränen in den Augen sagte er: „Wenn das so ist, dann geben wir ihm eben einen Doppelnamen.“ Und so trägt unser Sohn den Namen Michael Deniz, wobei „Deniz“ zu seinem Rufnamen geworden ist.
Obwohl ich meine neu entdeckte Mutterrolle über alles genoss, wurde ich mit der Zeit rastlos und unglücklich. Es war mir einfach nicht genug, ein Kleinkind zu versorgen, mit ihm auf den Spielplatz zu gehen, dabeizusitzen und zuzusehen, wie es Sandburgen baut. Etwas musste geschehen, und ich überlegte mir, welche von den vielen Möglichkeiten, die ich mir während meiner Schwangerschaft ausgedacht hatte, die richtige für mich wäre.
Wieder als Personalleiterin in einer Firma zu arbeiten, das wollte ich nicht. Und so beschloss ich, mich nach all den Jahren wieder auf den neuesten Stand in Sachen Steuerberatung zu bringen, und mein eigenes Büro als
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