Loewinnenherz
übrigens die Kanzlei meines früheren Chefs Michael. Diese Vermittlung war meine letzte Amtshandlung, danach sollte ich nie wieder in diese Firma zurückkehren.
In den fünf Jahren als Personalleiterin habe ich viel gelernt. Fachlich bin ich enorm vorangekommen, wertvolle Erfahrungen haben mich geprägt. Allerdings habe ich auch lernen müssen, wie skrupel- und gewissenlos Menschen sein können, wenn es um Geschäfte geht. Ein Insolvenzverfahren vernichtet in einem Unternehmen alles, was vorher war: Vertrauen, gegenseitige Achtung und Respekt. Jeder, der so etwas miterleben musste, weiß davon ein Lied zu singen. Es herrschen nur noch die Angst und die Sorge um die eigene Zukunft. Wenn man dann noch zusehen muss, wie der Insolvenzverwalter versucht, herauszuholen, was nur möglich ist, das ist eine ungeheure Enttäuschung für jeden Mitarbeiter, der sich um Ehrlichkeit bemüht. Denn am Ende geht es nur noch ums Geld, nicht um Unternehmenskultur, nicht um Zusammenhalt, nicht um Fairness. Jeder schaut, wie er sich noch schnell ein Stück vom Kuchen abschneiden kann. Die Beschäftigten gehen dabei meist leer aus. Und wenn sich einer wehrt und nicht kündbar ist, dann wird er auf andere Weise fertiggemacht. Das musste ich am eigenen Leib erleben.
Damals lernte ich aber auch, dass man sich Ungerechtigkeiten nicht einfach gefallen lassen darf. Wäre ich damals nicht schwanger geworden, dann hätte ich mich mit allen Mitteln gewehrt. Ich wäre sogar so weit gegangen, gegen das Insolvenzbüro zu klagen. Sie wussten nur nicht, dass sie mit mir eine vor sich hatten, die „Nein“ sagt, eine, die sich in ihrem bisherigen Leben viel zu lange viel zu viel hatte gefallen lassen. Aber |179| ich hatte mir geschworen, mich nie wieder kleinmachen zu lassen.
Ich bin der Meinung, dass jeder Mitarbeiter immer mehrmals nachfragen sollte, bevor er eine Kündigung akzeptiert. Er sollte sich beraten lassen, denn „die da oben“ kochen auch nur mit Wasser. Nachfragen – und wenn keine Antwort kommt, dann stimmt etwas nicht. Ich finde, jeder einzelne Mitarbeiter sollte ruhig Druck machen, und nicht nur über den Betriebsrat. Jeder Einzelne sollte sich auch selbst über seine Rechte und Pflichten informieren.
Mit dem Finanzleiter, dem ich damals die Kündigung überbringen musste, bin ich heute noch gut befreundet. Inzwischen können wir gemeinsam darüber lachen. Damals aber war es die Hölle.
Am Ziel meiner Wünsche
Und dann begann eine höchst ungewöhnliche Zeit: Ich hatte nichts weiter zu tun, als mich zu schonen und auf das Baby zu freuen. Es war die langweiligste Zeit meines Lebens, und doch lernte ich nach und nach, sie zu genießen. Es war eine Zeit des Innehaltens. Nie zuvor hatte ich dazu Zeit gehabt, von ein paar Urlauben abgesehen. Von klein auf war ich es gewohnt, rastlos immer etwas zu tun. Meine Mutter hatte mir nie Zeit zum Durchatmen gelassen, und in meiner Ehe war ich nicht zum Luftholen gekommen. Erst recht nicht nach dem versuchten Attentat auf mich und dem Freitod meines Ehemanns. Das alles lag nun fast zehn Jahre hinter mir, und seither hatte ich rast- und ruhelos dafür gekämpft, mein Leben auf die Beine zu stellen. So viel war mir gelungen, ich hatte den Schuldenberg abgetragen, hatte mich kontinuierlich weitergebildet und die Karriereleiter erklommen, hatte mich von dem hässlichen Entlein in eine attraktive Frau verwandelt und endlich meinen Traummann gefunden. Nun war ich wieder schwanger, und auch |180| wenn es keine leichte Schwangerschaft war, war sie doch nicht zu vergleichen mit meiner ersten Schwangerschaft, bei der ich extremen körperlichen und seelischen Schmerzen ausgesetzt war. Ganz im Gegenteil – jetzt, da ich akzeptiert hatte, dass ich mich schonen musste, ging es mir blendend. Zwischendurch fürchtete ich zwar, dass ich in diesen Wochen und Monaten verblöden könnte, doch gleichzeitig wusste ich, dass ich diese Phase dringend nötig hatte. Ich verschlang ein Buch nach dem anderen, sah mir Filme an und traf mich mit Freundinnen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Zeit für mich und mein Kind, und das tat mir unendlich gut.
Ich war noch immer in psychotherapeutischer Behandlung, und so wurde es eine äußerst intensive Zeit für mich, in der ich mich persönlich neu orientieren konnte. Und natürlich überlegte ich mir bereits während der Schwangerschaft, wie es mit meiner Karriere weitergehen würde. Als Freiberuflerin in meine alte Firma zurückkehren wollte ich nicht. Etwas Neues
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