Lohn der Angst
wenn sich eine Tür öffnet, deren Schwelle er nur zu überschreiten braucht. Der Slawe macht sich keine Illusionen über den Wert des menschlichen Lebens. Und als genüge das nicht, beruft er sich auf die einfachste, die billigste aller Rechtfertigungen: den Tod anderer. So viele Menschen sind getötet worden, die es nicht verdient hatten, Menschen, die er geliebt hat... Bei diesem Thema ist er seiner sicher: die Tränen schießen ihm nach Belieben in die Augen. Sonja, David, Aljoscha... tot, tot, tot... Das hilft. Er ist bereit. Ein wenig Geschicklichkeit, und bald wird er wieder in Honduras sein, mächtig, reich und gefürchtet. Und, so nebenbei, bewundert er sein eigenes Taktgefühl: er handelt, bevor die Wagen ausgelost sind...
Er wirft einen Blick um sich: einen Blick, der genügt hätte, ihn zu verraten, wenn jemand dagewesen wäre, um ihn zu beobachten. Aber der Mechaniker spricht, dreißig Meter entfernt, mit einem anderen Yankee. Ihr lebhaftes Gespräch scheint von Dauer. Außerdem, von da, wo er steht, neben dem linken Vorderrad des zweiten Wagens, kann Joseph die beiden im Auge behalten, ohne daß er Gefahr läuft, von ihnen gesehen zu werden. Er macht einen Schritt auf den Werkzeugtisch zu. Er ergreift eine Zange, eine leere Schraubenbüchse. Er kommt zu dem Wagen zurück. Der Yankee redet noch immer mit seinem Kameraden. Jetzt entfernen sich beide.
Smerloff bückt sich, kriecht unter den Wagen, nimmt eine Schraube zwischen die Zange, drückt mit allen Kräften, dreht. Aus dem Zylinder des hydraulischen Stoßdämpfers läuft eine farblose Flüssigkeit, die nach Insektenpulver riecht. Eine Minute vergeht. Joseph fängt die Flüssigkeit mit der Büchse auf. Kein Tropfen darf danebengehen. Dabei hält er nach dem Mechaniker Ausschau. Das ist wirklich ein Bursche, der mit Sorgfalt arbeitet, dieser Joseph. Als die Flüssigkeit versiegt, wischt er die letzten Tropfen weg, setzt die Schraube wieder auf und zieht sie fest, genauso fest, wie sie war. Dann reißt er mit der Zange noch einen Splint weg. Gerade als Joseph die Büchse auf den Tisch zurückstellt, kommt der Amerikaner wieder.
Mit dem Stoßdämpfer ohne Splint wird es nach hundert Kilometern einen hübschen Stoß geben; und die Stelle für den Ersatzmann wird frei sein. Daran hatte O’Brien bestimmt nicht gedacht, als er Smerloff im voraus bezeichnete.
Joseph ging zu den andern in den Club. Er setzte sich so diskret wie möglich zu ihnen und wußte es so einzurichten, daß er sie wieder verlassen konnte, bevor die Wagen ausgelost wurden.
Feigling...
Linda hat Jacques den ganzen Nachmittag über ausgehorcht. Sie weiß jetzt, um was es geht. Mit allen Einzelheiten.
Das Gesicht der Mestizin ist von Sorge gezeichnet. Ihre gequälten Züge sind entstellt und starr.
Sie sitzt allein an einem Tisch. Einer ihrer Stammkunden ist zu ihr getreten und hat zu ihr gesprochen, ohne daß sie ihn eines Wortes oder Blickes gewürdigt hätte. Hernandez ist seinerseits gekommen und hat ihr etwas zugeflüstert. Sie hat nur gerade den Kopf gehoben und geseufzt.
»Hör mal, Linda! Er ist deinetwegen hier...«
Schweigen.
»Er wird wütend werden und nicht wiederkommen...«
Sie hat sich erhoben, noch immer stumm, und ist in ihre Kabine gegangen. Der Kunde nimmt das für eine verspätete Einwilligung, er folgt ihr hinter den Vorhang. Ihr Stimmengemurmel ist bis in den Saal zu hören.
Aber so angestrengt Hernandez auch horcht, sie sprechen zu leise, er kann die Worte nicht verstehen.
Fast im selben Augenblick teilt sich der Vorhang wieder, und der Mann geht mit eiligen Schritten auf den Ausgang zu, rot vor Zorn. Der Wirt stürzt hinter ihm her.
»Warten Sie eine Sekunde, Señor. Gehen Sie nicht fort.«
»Nein, Hernandez, nein. Diese Tochter der großen Hure hält mich zum besten.«
»Warten Sie nur einen Augenblick«, fährt der Wirt fort, »machen Sie mir die Ehre, ein Glas Whisky mit mir zu trinken.« Selbst für einen wohlhabenden Mann hat ein solches Angebot Gewicht. Der andere setzt sich an die Bar.
Stimmengewirr kommt näher Eine Gruppe, in der lebhaft diskutiert wird. Gérard, Bimba, Luigi, Johnny, Smerloff, gefolgt von Bernardo, der am Lagertor der Crude auf sie gewartet hat. Sie stoßen die Tür weit auf und drängen in den Saal.
»Das hat geklappt. Wir sind angenommen!« ruft der Rumäne freudig. »Zahl eine Runde, Kapitalist!«
»Tausend Packs für die Fahrt! Mehr als Truman verdient!«
»Für Johnny und mich nur Kaffee«, sagt Gérard.
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