Lohn der Angst
»Wir fahren zusammen. Er hat für heute genug gebechert.«
Linda ist aus ihrer Kabine getreten. Der Kummer macht ihren Gang schwerfällig. Bevor sie bei Stürmer ist, hat Hernandez dem Franzosen etwas zugeflüstert. Dieser wirft der Mestizin einen kalten Blick zu.
»Linda!«
Sie bleibt unbeweglich stehen, erstarrt bei dem Klang dieser metallenen, schweren und dunklen Stimme.
»Linda, geh mit dem Mann.«
Er hat die Stimme nicht erhoben. Sie, sie hätte viel zu sagen, herauszuschreien; aber sie bleibt stumm, gelähmt, kraftlos. Gottes Ungerechtigkeit hat gesprochen. Dagegen ist nichts zu machen. Er ist zu streng und zu fern. Sie wird nicht einmal versuchen können, Gérard zurückzuhalten, ihn zu retten; heute abend noch wird er fortgehen, ohne auf ein einziges Wort ihrer Ängste, ihrer Nöte... ihrer Liebe zu hören. Mit einem Schritt steht sie neben dem Guatemalteken, der von seinem Barstuhl herab den Vorgang mit gespieltem Hochmut verfolgt hat. Sie schaut verzweifelt, wie ein wundes Tier. Ihr Mund bebt von dem unaufhörlichen Schluchzen, die Unterlippe hängt wie geschwollen herab. Der Kunde betrachtet sie. Dann wendet er sich an Stürmer.
»Muy agradecido, caballero«, murmelt er mit einem höflichen Neigen des Kopfes.
Er berührt Linda am Arm und dirigiert sie mit leichtem Druck gegen die Kabine, wo hinter dem geteilten Vorhang das Bett sichtbar wird, das auf sie wartet.
Später, lange nachdem der Kunde fort ist, geht Gérard mit Linda in ihre Kabine.
Er zieht die Vorhänge zusammen. Sie wendet sich ihm zu. Tränen laufen ihr aus den Augen, aber ihr Gesicht bleibt reglos. Keine Grimasse, kein Schluchzen entstellt es. Sie will schweigen, aber es gelingt ihr nicht.
»Du wirst nicht wiederkommen, Gérard. Das ist zu gefährlich. Sie sagen es alle. Zu gefährlich.«
»Kümmer dich nicht um die andern. Sie möchten alle gern an meiner Stelle sein. Ich fahre ja nicht allein: ich habe Johnny dabei...«
»Oh! Gerade der...«
»Wieso, gerade der?«
Sie hängt sich an ihn, preßt ihren Leib gegen den seinen; sie blickt an ihm hoch, mit verstörtem Gesicht.
»Je schlechter du bist, desto mehr liebe ich dich. Oh! Gerardo.«
Sie spricht seinen Namen spanisch aus, mit einem heiseren, hohlen Seufzer, eine Art H, aus der Tiefe der Kehle, statt des G.
Das eitle Bedürfnis, nichts unversucht zu lassen, quält sie noch. Sie beginnt wieder:
»Gérard, ich beschwöre dich, geh nicht.«
»Du bist verrückt. Ich hab schon ganz andere Sachen gemacht, und die waren gefährlicher. Willst du denn nicht fort aus diesem Totennest, mit mir?«
Und er fügt eine Lüge hinzu: »Willst du nicht meine Heimat kennenlernen?«
Sie zuckt langsam die Achseln. Ihre Brüste heben sich bei dieser Bewegung.
»Selbst wenn du zurückkommst, dann wirst du mit einem Schlag ein alter Mann sein, wie Jacques. Und wenn du zurückkommst und hast nicht den Verstand verloren und bist reich, dann wirst du mich doch nicht mitnehmen...«
Seit er die Bewegung ihrer Brüste gesehen hat, hört Gérard nicht mehr, was sie sagt. Seine Hände legen sich auf ihre Schultern. Gegen das Rot des Kleides erscheint die braune Haut fast weiß. Er streift den Stoff zu beiden Seiten der Schultern herab, das Kleid fällt. Gérards Kehle ist trocken. Er faßt Linda an den Hüften, beugt ihren Oberkörper zurück und drückt ihren Leib gegen sich.
»Mein blonder Gringo«, flüstert Linda. Sie schlingt beide Arme um seinen Nacken. In enger Umklammerung fallen sie auf das Bett.
Linda hat es nicht absichtlich getan. War es die Angst? Der Vorgeschmack des Todes auf den Lippen des Geliebten? Sie ist in seiner Umarmung kaltgeblieben.
Gérard hat es gemerkt. Während er seine Kleidung ordnet, bebt er vor Zorn.
Sie schweigen beide.
Im Saal des Corsario ging es hoch her. Von allen Enden der Stadt waren Neugierige herbeigekommen und luden die Todeskandidaten zum Trinken ein. Man hat nicht alle Tage Gelegenheit, ein solches Ereignis zu feiern. Die Helden des Tages widerstanden dem Alkohol mit guter Haltung. Nur Juan wäre leichtsinnig genug gewesen, ein Glas zuviel zu trinken, wenn sein Mitfahrer nicht auf ihn achtgegeben hätte.
Gérard begann ein Gespräch mit Smerloff.
»Ob du Geld hast oder nicht, wenn ich das Schiff flott kriege, fährst du mit.«
Joseph lachte und zuckte die Achseln. »Anständig von dir. Aber ich bin wasserscheu, und überdies werde ich seekrank. Sorg dich nicht um mich, ich bekomm schon bald was zu tun.«
Jetzt war Gérard an
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