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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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einfach für dich, bei der OFA mitzuarbeiten.«
    »Nein.«
    »Du machst es trotzdem.«
    »Ich bin es Sonja schuldig. Vermutlich bin ich noch nicht mal eine große Hilfe. Sie hatte Ängste, aber konnte sie nicht begründen,
     nicht benennen. Sie hatte Angst, alleine zu sein, schon lange vor dem Tod ihrer Mutter. Das könnte tatsächlich ein Hinweis
     auf eine schizophrene Störung sein. Bitter ist nur, dass sie nach all dem wirklich ermordet wurde. So als hätte sie es vorhergesehen,
     geahnt.«
    »Vielleicht gab es eine Bedrohung. Ich habe den Unfallbericht angefordert. Der Tod ihrer Mutter galt als Unfall. Es wurde
     nie von Mord oder Totschlag ausgegangen, es scheint ein schlichter Verkehrsunfall gewesen zu sein.«
    »Hmm.«
    Er warf mir einen schnellen Blick zu. »Was aber nicht heißt, dass sie nicht wirklich eine begründete Angst hatte. Hat sie
     mal irgendwann Geld erwähnt? Münzen?«
    »Münzen?«
    »Ja, Geldmünzen? Fünfmarkstücke. Es gibt Sammlerstücke. Hat sie Geld gesammelt? Ihre Eltern?«
    Ich dachte angestrengt nach. »Keine Ahnung. Von Münzen war meiner Erinnerung nach nie die Rede. Sonja hat bestimmt keine Münzen
     gesammelt. Sie hat nichts gemacht. Keine Aktivitäten. Und ganz bestimmt nicht so etwas Außergewöhnliches wie Münzen sammeln.«
    »Sicher?«
    »Sicher kann ich mir da nie sein. Ich bekomme nur die Informationen, die meine Patienten gewillt sind, mir mitzuteilen. Sonja
     gehörte keinem Club an, keiner Gruppe, hatte keine Hobbys. Sie war verschlossen und eigenbrötlerisch. Münzen sammeln wäre
     schon fast exotisch gewesen für ein Mädchen in ihrem Alter. Sie mochte noch nicht mal Pferde.«
    »Ein Mädchen, das keine Pferde mag? Sie war ganz sicher krank.« Er lächelte kurz.
    |66| »Hast du Kinder?« Ein sensibles Thema, die Frage war mir herausgerutscht.
    »Ja.« Er verzog den Mund, kaute kurz auf der Lippe. »Eine Tochter. Sie ist sechzehn. Von ihrer Mutter bin ich schon lange
     getrennt. Ich versuche, soviel Kontakt wie möglich zu meiner Tochter zu halten. Sie liebt Pferde. Und Hunde. Charlie würde
     sie adoptieren wollen, sofort.«
    Ich warf einen Blick zurück, der Hund lag friedlich auf der Ladefläche, sah mich an. Sein Blick schien jedoch zu sagen: Muss
     das sein? Müssen wir jetzt ständig hin und her fahren?
    »Die meisten Kinder mögen Tiere. Tiere, Gleichaltrige, Boy- oder Girlgroups. Die meisten Kinder haben Hobbys, treiben Sport,
     beschäftigen sich. Sonja war am liebsten alleine und hat nichts getan.«
    »Das ist ungewöhnlich.«
    »Ja, das war es. Ich bin auch nicht dahintergekommen, was sie gehemmt hat. Ihre Mutter war ihr heilig. Ob als Achtjährige,
     als Zehnjährige, immer wollte sie nur eines, bei ihrer Mutter sein. Permanent. Der stationäre Aufenthalt im Alex war eine
     Qual für das Kind.«
    »Und wie hat die Mutter das gesehen … halt, stopp, bevor du die Frage beantwortest, sei dir im Klaren darüber, dass du sie
     vermutlich noch vier, fünf Mal dem Team gegenüber beantworten musst. Wir als OFA sind Wiederkäuer, wir mahlen viele Mühlen
     mehrmals, immer und immer wieder.«
    »Mit Sprichwörtern hast du es nicht so, oder?« Ich lachte leise. »Nein, aber das ist okay, in einer Konsultation ist das nicht
     anders. Man kaut Fakten wieder und wieder, entwirft Hypothesen, verwirft sie, liest in Fachliteratur nach und macht Tests.«
    »Eure Tests sind an lebenden Personen, unsere nicht.« Robert klang auf einmal sehr ernst.
    »Richtig, aber manche unserer Probanden sind hirntot. Oder psychotisch, das ist noch schlimmer.« Ich holte hörbar Luft.
    »Und trotzdem schreibst du die Strafgutachten.«
    |67| Nun lachte ich laut. »Du bist doch vom BKA, vom Fach. Ich schreibe Schuldfähigkeitsgutachten, wenn überhaupt.« Prompt wurde
     ich wieder ernst.
    »In der letzten Zeit nicht mehr, oder?«
    »Nein.«
    »Warum?«
    »Es ist so schwer, zwischen Schuld und Unschuld zu unterscheiden. Eine Geschichte steckt immer dahinter. Früher hatte ich
     feste Parameter, die sind aber zusammengerückt. Gegen den Täter, für das Opfer.«
    »Weil du ein Opfer warst?«
    Ich nickte stumm.
    »Allein diese Eigeneinsicht macht dich grandios, finde ich. Du reflektierst dich. Vermutlich würdest du jetzt eher im Sinne
     des Täters entscheiden als des Opfers, nur um nicht als parteiisch zu gelten und um keinen Fehler zu machen.«
    Inzwischen waren wir hinter »Haus Frings«, der Verkehr hatte nachgelassen. Immer wieder sagte die Navi-Dame zuverlässig den
     Weg an.
    »Wenn du

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