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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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da sein, mehr nicht, Robert.«
    »Aber auch nicht weniger. Meine Hochachtung hast du.«
    |144| Ich nahm meine Sachen, rief den Hund zu mir. »Ich weiß nicht, wie lange das dauert. Wenn es akut ist, werde ich bei ihm bleiben.«
    »Kein Problem. Möchtest du, dass ich dich auf dem Laufenden halte?«
    Ich nickte, er nahm mich herzlich in den Arm, drückte mich kurz.
    Als ich im Auto saß, rasten die Gedanken durch meinen Kopf, vermischten sich miteinander. Der Münzenkiller, Martin und nun
     der kleine Sven. Irgendwie war das zu viel Leid auf einmal. Ich startete den Wagen. Die Autobahn war dicht, wie so oft, und
     ich kam nicht wirklich vorwärts. Die Zeit zog sich zäh wie Sirup dahin. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit überholte ich
     scharf, fuhr schnell, wenn es der Verkehr zuließ. Irgendwann scherte ich rechts ein, atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn,
     auch noch mein Leben aufs Spiel zu setzen. Ich griff in die Ablage und suchte eine CD heraus, schob sie in den Wechsler. Bachkantaten.
     Martins Musik, aber in diesem Augenblick war es die richtige Musik.
    »Herz und Mund und Tat und Leben, muss von Christo Zeugnis geben, ohne Furcht und Heuchelei, dass er Gott und Heiland sei.«
    Glauben zu können war manchmal sehr tröstlich. Trotzdem haderte ich kurz mit Gott. Warum ließ er all das Leid und die Scheußlichkeiten
     des Lebens zu? Grausame Mörder und sterbende Kinder? Aber die Frage stellte sich nicht, denn Gott ließ weder zu noch verhinderte
     er. Gott war einfach, wenn man an ihn glaubte. Es gab eine Menge Dinge, die wir Menschen uns zufügten. Und manchmal schlug
     das Schicksal grausam zu.
    Ich brachte den Hund in meine Wohnung, fütterte ihn und vertröstete ihn auf später. Dann fuhr ich zum Kronenberg, zu der Familie,
     die ich schon seit Jahren kannte.
    Sven war früh an Leukämie erkrankt, hatte alle Behandlungen klaglos über sich ergehen lassen. Die Krankheit kam wieder. Beim
     zweiten Rückschlag brach er zusammen, verweigerte die Mitarbeit, die Nahrung. Apathisch lag er in seinem |145| Bett, verfluchte die Ärzte, die Krankenschwestern, seine Eltern, die Krankheit und sich selbst. Es dauerte eine Weile, doch
     dann fand ich Zugang zu der empfindsamen Kinderseele. Vor vier Jahren war er schließlich als geheilt entlassen worden. Letzten
     Monat stürzte er mit dem Fahrrad. Um einen Schädelbruch auszuschließen, wurde er untersucht. Knochen hatte er sich keine gebrochen,
     doch an seinem Stammhirn saß ein großer Tumor. Der Schock war groß, die Diagnose bestätigte alle Ängste und Befürchtungen.
     Durch eine Chemotherapie konnte man versuchen, das Wachstum des Tumors zu hemmen. Ganz heilen konnte man Sven nicht. Als ich
     ihn in der letzten Woche besucht hatte, ging es ihm leidlich gut. Gefasst schien er sich mit seinem Schicksal abzufinden.
     Machte letzte Pläne, schrieb Listen von Dingen, die er unbedingt noch gemacht, gesehen, erledigt haben wollte. Doch nun hatte
     sich sein körperlicher Zustand verschlechtert. Er hatte darum gebeten, schon vor langer Zeit, dass ich bei ihm sein sollte,
     wenn er starb. Ich gab ihm das Versprechen, in der Hoffnung, es nie erfüllen zu müssen. Und nun sollte es doch dazu kommen.
     Der Gedanke grauste mir. Ich hatte in meiner Ausbildung auch in der Onkologie und in der Station der herzkranken Kinder gearbeitet
     und ein paar Patienten bis in den Tod betreut. Doch nie war ich einem Kind so nahe gewesen wie Sven, nie so lange einen gemeinsamen
     Weg gegangen.
    Svens Mutter öffnete mir die Tür. Die Eltern hatten beschlossen, ihn zu Hause sterben zu lassen, in seiner gewohnten Umgebung.
     Herzlich nahm sie mich in die Arme. Wir waren inzwischen befreundet. Tränen standen in ihren Augen.
    »Simone, ich weiß nicht, ob ich euch eine Hilfe sein kann«, sagte ich mit belegter Stimme.
    »Du bist da, das zählt. Er hat es sich so gewünscht.« Sie zog mich in das kleine Haus an dem Hang. Der Blick vom Wohnzimmer
     ging auf die Wiesen und Felder, durch die ein kleiner Bach mäandrierte. Eine wunderbare Umgebung, um Kinder aufzuziehen. Doch
     wir würden ein Kind gehen lassen müssen.
    Es duftete nach Kuchen und Würztee, frischem Brot. Jedes |146| Mal, wenn ich das Haus betrat, wunderte ich mich wieder über die Vielfalt der Düfte und Gerüche. Kräuter, Blumen, Honig, manchmal
     auch scharf nach Knoblauch. Nach Svens Erkrankung hatte die Familie konsequent die Ernährung umgestellt und ihr Leben verändert.
    »Du hast gebacken?«, fragte ich

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