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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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verwundert.
    »Wir brauchten Brot. Und ich musste etwas tun, kann nicht dasitzen und die Zeit verrinnen sehen.« Simone zog ein Taschentuch
     hervor und putzte sich die Nase. In ihren Augen glitzerte es. »Er ist gerade wach geworden.« Sie wies in Richtung seines Zimmers.
    Ich ging durch den Flur, fühlte die Beklemmung wie ein Stahlband meine Brust zuschnüren. Vor der Zimmertür, die nur angelehnt
     war, blieb ich stehen und holte tief Luft, dann trat ich ein.
    Sven sah mir entgegen, er lächelte. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, dunkle Ringe hatten sich darunter gebildet, um den
     Mund waren Falten, scharf wie von einem Messer gezogen. Er war in wenigen Tagen um Jahre gealtert. Im Licht der spätnachmittäglichen
     Sonne glänzte sein kahler Schädel, auf der linken Seite befand sich großes Mullpflaster, dort hatten sie die Biopsie gemacht.
     Bis zur letzten Woche hatte er noch dichtes Haar gehabt. Entsetzt öffnete ich den Mund.
    Sven begriff sofort, strich mit der Hand über den kahlen Schädel. »Die Chemo. Diesmal sind sie sofort ausgefallen.« Seine
     Stimme klang heiser, schwach. Und doch lächelte er. »Conny, schön …«
    »Ach, Sven.« Ich setzte mich auf die Bettkante, nahm seine Hand. Sie war schweißkalt.
    »So wollten wir uns nicht wieder sehen«, krächzte er, hustete.
    »Nein.« Mir fehlten die Worte. Meine Augen brannten, in meinen Mund war ein schaler Geschmack. In diesem Raum roch es nach
     Desinfektionsmitteln, Schweiß, Ammoniak und Vanille. Ich sah mich suchend um, fand die Duftlampe auf seinem Schreibtisch.
     Er war meinem Blick gefolgt, lachte leise.
    |147| »Mutter, du kennst sie ja.«
    »Ja, deine Mutter ist etwas Besonderes. So wie du auch.«
    Er lehnte sich zurück in das Kissen, sein Atem ging schwer. Neben dem Bett stand ein Perfusor, über den er wahrscheinlich
     Schmerzmittel bekam, ein Monitor und ein Sauerstoffgerät.
    Ich zeigte auf die Maske. »Willst du?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich will noch mit dir reden …«
    »Okay.«
    »Es geht zu schnell, Conny. Damit habe ich nicht gerechnet.«
    »Damit hat keiner gerechnet.«
    »Ja, voll krass und nicht fair.« Er schluckte, sah zur Wand. Das kannte ich, sein Abwehrmechanismus. Aber dann drehte er den
     Kopf doch wieder zu mir.
    »Ich wollte so gerne einige Dinge noch machen.« Seine Stimme wurde schwächer. Ich hätte so gerne gesagt: Streng dich nicht
     an, ruh dich aus, alles wird gut. Aber wir hatten uns geschworen, dass wir uns nicht belügen, und daran würde ich mich halten.
    »Was denn?«, fragte ich leise. Eigentlich wollte ich die Antworten nicht hören, wusste nicht, ob ich damit umgehen konnte.
    »Ich wollte einmal Borussia Dortmund spielen sehen.« Er holte tief Luft, röchelte. Der neue Spielplan hing an der Wand über
     seinem Bett, sowie einige signierte Poster, eine Mütze in den Vereinsfarben – gelb und schwarz – lag auf dem Schreibtisch.
    »Ich bin noch nie geflogen«, fuhr er leise fort. »Außer im Rettungshubschrauber, aber das zählt nicht.«
    »Stimmt, du warst bewusstlos.«
    »Ich wollte noch mal im Meer baden.« Er seufzte.
    All diese Wünsche waren für einen normalen Fünfzehnjährigen nicht unerreichbar. Doch Sven war nicht normal, er war krank.
     Sterbenskrank. Und es gab nichts, was wir hätten tun können, um diese Wünsche innerhalb der ihm gegebenen Frist zu realisieren.
     Ich schluckte hart.
    |148| »Kannst du mir ein Glas Wasser geben?«, fragte er schwach.
    Die Flasche stand neben dem Bett. Ich füllte ein Glas, gab es ihm. Seine Hand zitterte, also führte ich das Glas sanft zu
     seinem Mund und ließ ihn trinken.
    »Danke.«
    Ich holte tief Luft. Dieser Teenager war mir weit überlegen. Ich hätte heulen mögen, gegen die Wände schlagen, etwas kaputtmachen.
     Stattdessen schaute ich aus dem Fenster, auf den Garten, die Hügel, versuchte mich zu beruhigen.
    »Conny, ich finde das alles furchtbar. Eigentlich möchte ich nur schreien. Immerzu. Aber ich kann nicht mehr.« Er stöhnte
     leise. »Ich habe keine Kraft.« Sven stockte, sah wieder die Wand an. Als er weitersprach, war es so leise, dass ich es kaum
     verstand. »Was wird mit Mama und Papa? Was wird mit ihnen? Ich habe mir immer Geschwister gewünscht.« Dann schloss er die
     Augen. Sein Atem ging tief und gleichmäßig, er war eingeschlafen. Ich verfolgte die Linien am Monitor. Regelmäßige Hügel und
     Täler, das Herz schlug noch.
    Als mich Simone nach einer Weile aus dem Zimmer holte, fühlte ich mich elend.
    »Die

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