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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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Dinge abgleichen. Langsam kommt Bewegung in die Sache. Man hat
     nichts gefunden, was auf Gerontophilie hinweist, aber er war einige Male auf Internetseiten von Münzsammlern. Anscheinend
     hat er auch einen Safe in der Bank, vielleicht hat er dort seine Schätze. Abgehoben hat er seit Samstag nichts mehr vom Konto,
     und am Samstag nur zweihundert Euro, das reicht nicht für eine Flucht, und es war am Samstagmorgen.«
    »Er hat nur ein Konto? Keine Kreditkarte?«
    »Doch, er hat auch eine Kreditkarte, aber da ist es schwieriger, an die Auszüge zu gelangen, mitunter dauert es ein paar Wochen.
     Wir bleiben am Ball. Bei den Fluggesellschaften gibt es bisher keinen Hinweis darauf, dass er sich ein Ticket gekauft hat.
     Nun haben wir die Niederlande um Amtshilfe gebeten, Maastricht ist ja nicht weit von Aachen entfernt.«
    »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Er könnte auch in Amsterdam sein und von dort aus fliegen.«
    »Auch das überprüfen wir, Conny. Ich muss fahren.« Er sah mich nachdenklich an, nahm mich dann in die Arme und drückte mich
     an sich. Es war eine zärtliche Umarmung, liebevoll und sacht. Er küsste meine Wange. »Pass auf dich auf, Conny. Ich rufe dich
     an.« Er fuhr mit seiner Hand kurz durch mein Haar, wie beiläufig, und doch war es eine sehr herzliche Geste.
    Ich sah ihm hinterher, sah seinen Wagen vom Hof fahren, der Kies knirschte unter den Reifen. Auf einmal kam ich mir einsam
     vor.
    Nachdem ich das Haus aufgeräumt, die Aschenbecher geleert und die Zimmer durchgelüftet hatte, blieb mir nicht mehr |181| viel zu tun. Robert hatte mir eine Kopie der Berichte dagelassen, aber alles in mir widerstrebte sich dagegen, sie zu lesen
     und mich mit einem weiteren Tod zu befassen. Ich packte meine Sachen, verschloss das Haus und fuhr zurück nach Aachen.
     
    In meiner Praxis angekommen, rief ich die Richterin des Familiengerichts an und sagte ihr, dass ich wieder Gutachten bei Sorgerechtsfällen
     machen würde. Sie war sehr erleichtert und wollte mir direkt zwei Fälle überlassen. Ich bat sie, bis zur nächsten Woche zu
     warten, wollte erst Svens Beerdigung überstehen.
    Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und fuhr zum Kronenberg. Ich lief mit Charlie den vertrauten Weg durch die Wiesen bis
     zum Bach, ging den kleinen Pfad hinauf, der zu dem Haus führte. Simone öffnete mir. Sie war bleich, Schatten lagen unter ihren
     Augen, doch trotzdem lächelte sie.
    »Conny.« Wir nahmen uns in den Arm.
    Den Nachmittag verbrachten wir damit, Details für die Beerdigung zu planen. Sven hatte einige Lieder genant, die er in der
     letzten Zeit oft gehört hatte. Zudem wollte Simone, das »Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir« von Mendelssohn-Bartholdy
     gespielt würde. Sie legte eine CD ein. Die Musik war wunderbar, mir schnürte sich die Kehle zu.
    »Es ist so furchtbar. Eine entsetzliche Art von Taubheit hat mich ergriffen. Ich kann nicht mehr weinen. Immer wieder gehe
     ich in sein Zimmer, will nach ihm sehen, aber das Bett ist leer. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Aber wird diese Wunde
     jemals wirklich heilen, Conny?«, fragte sie leise.
    »Nein, nie ganz und gar. Aber es wird leichter werden mit der Zeit.«
    An Simones zittrigem Atemholen erkannte ich, wie viel Angst sie hatte.
    »Ich möchte sterben, jetzt sofort. Ich möchte das nicht mehr durchmachen müssen. Aber dann wäre Peter alleine.« Sie senkte
     den Kopf. »Wenn wir uns jetzt auch noch verlieren, dann hat das Leben gar keinen Sinn mehr.«
    |182| Ich setzte mich neben sie und legte meinen Arm um ihre Schultern. Es gab keine Worte, keinen Trost.
    Als ich einige Stunden später nach Hause fuhr, hatten wir viel geredet, viel geschwiegen. Ich fühlte mich erschöpft, aber
     ich sah einen Fortschritt. Sie war verzweifelt, sie würde jedoch nicht aufgeben. Die nächste Zeit würde schwer werden, ohne
     das Kind zurück zum Leben zu finden, war so, als würde man durch dichten Nebel laufen. Aber die beiden würden sich auf den
     Weg machen.
    Es dämmerte schon, als ich nach dem Einkaufen auf der Oppenhoffallee parkte. Die Wohnung kam mir viel zu leer vor. Ich öffnete
     die Fenster, ließ die abendkalte Luft herein. Es roch nach Regen, obwohl keine Wolken zu sehen waren. Der Anrufbeantworter
     blinkte hektisch, zwei Anrufe in Abwesenheit. Ich nahm das Handy aus meiner Tasche, hatte es ausgeschaltet, bevor ich zu Simone
     gefahren war. Auch hier waren zwei Nachrichten auf der Mailbox. Einen kurzen Moment zögerte ich,

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