Lohn des Todes
Frage gestellt. Ihre Sicht
war – Gott gibt uns kein Schicksal, das wir nicht tragen können. Ob das immer noch so war? »Where were you?«, fragte der Sänger,
und ich fragte es Gott. Eine Antwort würde ich wohl nicht bekommen.
Dann gingen wir durch die parkartige Landschaft des Westfriedhofs. Eine lange Reihe dunkelgekleideter Menschen, Jugendliche,
Mitschüler, Freunde, Verwandte. Links und rechts des Weges standen die alten Grabmäler. Wunderschön gestaltete Figuren und
Steine. Die Bäume rauschten im Wind wie Wasser, und große Kumuluswolken segelten wie Schiffe über den Himmel. Es roch nach
Erde, Moos und Harz, vermischt mit dem süßlichen Duft verwelkter Blumen. Das alles bekam ich nur wie in Trance mit.
Irgendwann war es vorbei. Ich hatte meine Handvoll krümeliger Erde auf den Sarg geworfen, das dumpfe Geräusch gehört, als
die Erde aufschlug, Menschen umarmt, Tränen geweint, Worte des Trostes gesagt, an die ich mich nicht erinnerte und die nicht
trösteten. Mehr schaffte ich nicht und verabschiedete mich.
Den Weg nach Hause fuhr ich automatisch. In der Wohnung hielt mich jedoch nichts. Ich packte meine Sachen, nahm den Hund und
fuhr nach Hechelscheid.
Dort zog ich meine Laufsachen an und lief. Ich lief, als würde ich damit dem Leben und allen Gedanken entkommen. Als ich zum
Haus zurückkehrte, fühlte ich mich leer und ausgehöhlt, aber besser.
|188| Charlie verschlang sein Futter, als hätte er tagelang nichts bekommen. Er machte alles klaglos mit, die Hin- und Herfahrten,
mal viel, mal wenig Aufmerksamkeit. Lief neben mir Kilometer durch den Wald oder ging eine Runde durch die Stadt. Er ertrug
mich und meine Launen. Ich war froh, ihn zu haben, und erlaubte ihm, mit mir auf dem Sofa zu kuscheln, während die Dämmerung
einfiel.
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Kapitel 21
Mein Handy klingelte, als ich gerade wegdämmerte. Das Feuer knisterte im Ofen, Charlie schnarchte leise. Es war Martin.
»Wo bist du?«
»In Hechelscheid.«
Er schwieg, atmete jedoch hörbar.
»Martin?«
»Ich habe versucht, dich in Aachen zu erreichen, kann aber begreifen, warum du in die Eifel gefahren bist. Dich zu fragen,
wie es dir geht, wie es war, traue ich mich kaum.«
»Es ist okay. Wo bist du?«
»In Köln. Ich fahre aber heute Abend noch nach Rheinland-Pfalz.«
Ich holte tief Luft. »Wegen der Toten?«
»Agnes Koschinski, ja, wegen ihr. Sie wird exhumiert. Ich möchte bei der Untersuchung dabei sein, verstehst du das?«
»Nein.«
»Conny, bitte.« Er klang flehentlich und gleichzeitig genervt.
Ich verstand ihn als Wissenschaftler, er wollte Dinge aufdecken. Der gewaltsame Tod gehörte in Martins Augen aufgeklärt, der
Täter gefunden und zur Rechenschaft gezogen. Das verstand ich. Ich begriff auch, dass ihm der Fall ebenso wenig Ruhe ließ
wie mir. Dass Martin aber jetzt, hier und heute wegfahren |189| musste, um bei der Exhumierung einer Frau dabei zu sein, die schon vor zwei Jahren ermordet worden war, ging nicht in meinen
Kopf. Auch morgen noch würde er sie untersuchen können. Nichts mehr machte diese Frau lebendig.
Ich war bereit, in vielen Dingen zurückzustecken, aber ich hatte eine schlechte Woche gehabt. Jemand, der mich liebte, gehörte
nun an meine Seite, sollte mir eine Schulter bieten, Halt.
»Sei es drum, Conny. Ich habe der Rechtsmedizinerin versprochen zu kommen. Ich rufe dich an.« Dann legte er auf, bevor ich
fragen konnte, ob Maria mitfuhr.
Wütend warf ich das Handy in den Sessel. Atmete dann tief durch. Es half nichts, wenn ich mich aufregte. Auf dem Tisch lag
Sonjas Akte, ich nahm sie, blätterte darin. Gab es irgendeinen Hinweis in der Zeit, die sie im Alexianer verbracht hatte,
auf Missbrauch? Ich fand nichts. Doch nun waren meine Gedanken wieder gefangen. Ich las den Bericht ein zweites Mal, nahm
dann den Laptop und schaltete ihn ein. Internet ist eine wahrhaft gute Erfindung, wenn man ein Haus jenseits von allem in
der Eifel besaß.
Ich ging auf die Seite des Alexianer-Krankenhauses in Aachen und suchte nach der Telefonnummer. Die Person am Empfang kannte
ich nicht, aber nachdem ich mein Anliegen erklärt hatte, wurde ich schnell weiterverbunden.
»Conny?«, fragte Jutta. »Das ist ja Jahre her, dass ich von dir gehört habe.«
»Ich rufe beruflich an.«
»Willst du eine Stelle haben? Bekommst du sofort.« Sie lachte leise, wurde dann wieder ernst.
Ich erklärte ihr, weshalb ich anrief, erzählte von Sonja Kluge.
»Ich kann mich nicht an das
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