Lohn des Todes
sind doch auch wehrlos.«
»Ja, aber anders. Sie sind unschuldig, sauber, verletzlich. Möglicherweise hat er seine Macht über seine Tochter ausgeübt,
als sie kleiner war.« Ich fuhr mir durch die Haare. Die Gedanken daran waren furchtbar. Ich hatte des Öfteren missbrauchte
Kinder in Behandlung gehabt. Die Verletzungen des Körpers heilten schnell, die der Seele meist nie. Man konnte lindern und
helfen, aber nicht heilen.
»Aber er könnte sie auch schon als Kind missbraucht haben?«
»Ja.«
Robert nickte. »Was dann aber tatsächlich nicht heißt, dass er nur auf kleine Mädchen steht. Wir werden nach weiteren Spuren
suchen. Vielleicht gibt es doch eine Verbindung.«
Martin legte seufzend den Bericht zur Seite, den er gelesen |178| hatte. Immer noch war mein Lebensgefährte unrasiert. Sein Gesicht wirkte bleich.
»Tja, es war eindeutig unser Mann, auch wenn wir bisher keine Münzen gefunden haben. Das Opfer, eine Frau, siebzig Jahre alt,
wurde gefangen gehalten, geknebelt und gefesselt. Bei ihr waren deutliche Spuren davon zu sehen, anders als bei Mueskens und
Sonja. Außerdem hat er sie auch ausbluten lassen. Er hat ihr jedoch die Pulsadern aufgeschnitten. Erst quer und dann längs.
Damit hat er vermieden, dass arterielles Blut direkt rausspritzt. Die Kehle wurde post mortem durchgeschnitten.«
»Warum wohl?«
»Todesursache war Herzversagen. Vielleicht ist das Opfer zu schnell gestorben.«
»Eine alte Frau«, murmelte ich. »Und wenn er gerontophil ist? Wie alt ist Kluge?«
»Ende fünfzig.«
»Er ist nicht wesentlich jünger als seine Opfer. Falls er gerontophil ist, lebt er es aber erst sehr spät aus. Trotzdem wäre
das eine Möglichkeit. Lass seinen Rechner nach Bildern von alten Leuten suchen und überprüfen, ob die Pornos in die Richtung
gehen.«
»Und Sonja?«, fragte Martin.
»Wir sind uns doch ziemlich sicher, dass Sonja nur Opfer wurde, weil sie vermutlich Zeugin war. Mit den Morden an sich und
den Motiven hat sie nichts zu tun.« Ich stand auf.
Robert griff zum Handy. »Ich werde die Kollegen informieren.«
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Kapitel 20
Ich ging in die Küche, räumte ein wenig auf. Ich musste meine Gedanken sortieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kluge noch
mehr Menschen ermordet hatte, stieg. Es war ein deutliches Muster zu erkennen, er lernte dazu, wurde immer skrupelloser. |179| Würden wir auf noch weitere Leichen stoßen? Immer noch blieb mir das Motiv verborgen. Doch nun wussten wir, wer der Täter
war, und konnten den Hebel dort ansetzen.
»Ich mache mich schnell fertig und fahre dann nach Köln.« Martin legte mir die Hände auf die Schultern, zog mich an sich und
küsste meinen Nacken.
»Wieso fährst du nach Köln?«
»In Kluges Wohnung wurden Blutspuren gefunden, nun müssen wir untersuchen, von wem sie stammen.«
»Ach Gott!« Ich seufzte. »Viel Blut?«
»Nein, aber es könnte von Sonja sein. Ein Indiz, das er sie in der Wohnung überwältigt hat. Man hat allerdings dort kein Versteck
oder Verließ gefunden, nichts, was darauf hindeutet, dass er die Opfer dort gefangen gehalten hat. Aber die Spurensucher sind
ja gerade erst am Anfang.«
»Ja, ich weiß. Es dauert.« Ich mochte mir das Versteck nicht vorstellen, und trotzdem kehrten meine Gedanken immer wieder
dahin zurück. War es ein Keller? Ein Erdloch? Eine Garage? Ich meinte, kalten, feuchten Boden zu spüren, den muffigen, dumpfen
Geruch eines Verließes. Was hatten die Opfer empfunden? Grauenvolle Angst? Das Gefühl von Unwirklichkeit? Mich schauderte
es.
Kurze Zeit später verabschiedete Martin sich. Er hatte sich flüchtig rasiert und dabei geschnitten. Zwei kleine Stücke Klopapier
klebten auf den Wunden an seiner Wange.
»Sieht nett aus.« Ich lachte leise.
Er fuhr mit seiner Hand über das Gesicht, lachte auch.
»Kommst du nachher wieder hierher?«, fragte ich ihn und umarmte ihn.
»Weiß ich noch nicht. Kommt darauf an, wie viel Arbeit anfällt. Wir telefonieren. Bleibst du denn in der Eifel?«
»Möglicherweise helfe ich Simone.« Ich schluckte und dachte an die bevorstehende Beerdigung.
Martin nickte. »Ich rufe dich an.«
|180| Ich ging mit dem Hund. Als ich wiederkam, stand Robert an seinem Wagen.
»Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr wiederkommen. Einen Zettel zu hinterlassen und mich nicht persönlich zu verabschieden,
hätte ich sehr unhöflich gefunden.«
»Du musst weg?«
»So idyllisch es hier auch ist, ich muss nach Köln und einige
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