Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
Vom Netzwerk:
als ich mir die Laufschuhe anzog.
    Im Wald war es so dunkel, als sei schon die Dämmerung hereingebrochen. Es war still, der Wind wehte nicht mehr, und auch keine
     Vögel waren zu hören. Das dumpfe Brüten und Warten der Natur, bevor ein Gewitter losbricht. Immer wieder kehrten meine Gedanken
     zu Kluge zurück, obwohl ich mit aller Macht versuchte, an etwas anderes zu denken.
    Hatte seine Frau eine Affäre gehabt? Aber das Kind war ja innerhalb der Ehe geboren worden. Er wäre rechtlich trotzdem der
     Vater gewesen. Es war ganz bestimmt nur ein Versehen, eine Oberflächlichkeit des Standesbeamten. Kluge war ihr Vater, anders
     war die Täter-DNS nicht zu erklären. Martin würde die Tests völlig umsonst machen. Hoffentlich nahm er mir das nicht übel.
     Ich dachte an unser kurzes Telefonat. Persönliche Worte waren nicht gefallen. Er klang zwar so wie immer, vielleicht ein wenig
     mürrischer, aber trotzdem hatte er mir keinen guten Morgen gewünscht und auch nicht nach meinem Befinden gefragt. Ich wusste,
     der Karren steckte ziemlich tief im Dreck, und wenn wir nicht schnell handelten, war er verloren. Robert verhielt sich mir
     gegenüber ganz anders, aber da waren ja auch keine Altlasten im Spiel.
    Du denkst über Dinge nach, über die du nicht ansatzweise nachdenken solltest, Conny, sagte ich mir. Ich pfiff nach dem Hund,
     der stöbernd im Gebüsch verschwunden war, doch er |213| kam nicht. Keuchend blieb ich stehen. Wind frischte auf, gleich würde das Gewitter losbrechen.
    »Verdammt, Charlie! Charlie hier!«, rief ich. Noch nie war Charlie weggelaufen, dies war der denkbar ungünstigste Augenblick
     dafür. Ich lauschte, hörte bis auf das Rauschen des Windes in den Bäumen nichts. Kein Bellen, kein Rascheln. »Charlie! Komm
     her!«
    Wo hatte ich ihn zuletzt gesehen? Ich war mir nicht sicher. Charlie lief immer links neben mir, mal ein wenig vor mir, mal
     blieb er stehen, um zu schnüffeln, ganz selten wagte er sich abseits des Weges in das Gebüsch. Ich war den schmalen Trampelpfad
     entlanggelaufen, die Blätter der vergangenen Jahre dämpften jeden Tritt, der Weg mäanderte den steilen Hang hinunter zwischen
     den alten Bäumen hindurch. Oft war ich hier entlanggelaufen, kannte die Strecke gut. Heute hatte ich weder auf die Umgebung
     noch auf den Hund geachtet, hing meinen Gedanken nach. Langsam trabte ich zurück, rief immer wieder nach dem Hund, blieb stehen
     und lauschte, ging weiter. Mein Herz pochte bis zum Hals, die Kopfschmerzen verstärkten sich. Hatte Charlie sich irgendwo
     verletzt? War er gestürzt oder gar in eine der illegalen Fallen geraten? Oder hatte er eine Fährte aufgenommen? Den Gedanken
     verdrängte ich sofort wieder. Charlie war als Leichenspürhund ausgebildet worden, Fährten führten ihn zu Toten.
    »Charlie!« Meine Stimme überschlug sich fast. Obwohl ich den Hund erst seit dem letzten Herbst hatte, hing ich doch gewaltig
     an ihm, wurde mir klar. »Charlie?« Diesmal kam es nur als ein unterdrücktes Flüstern heraus. »Bitte komm zurück.« Ich blieb
     stehen, lehnte mich an einen Baum, versuchte ruhiger zu werden.
    Plötzlich hörte ich Hundegebell. Eine Stimme. Ich konnte nicht verstehen, was sie rief. Die Geräusche drangen vom See zu mir.
     Ich lief durch das Unterholz, Zweige schlugen mir ins Gesicht, Brombeerranken griffen nach mir. Ich kam dem Geräusch näher
     und hörte nun deutlich das aufgeregte Bellen meines Hundes.
    |214| »Charlie! Charlie hier!«
    Eine Frau schrie. Ich konnte nur die Stimmlage erkennen, aber nicht, was sie rief. Sie klang genauso aufgelöst, wie ich mich
     fühlte. Endlich kam ich auf den Weg zurück. Ich strich mir die Blätter aus dem Haar, holte tief Luft. Charlie vergnügte sich
     offensichtlich mit einer Hündin.
    »Baby, Baby!«, schrie eine junge Frau, die versuchte, die beiden Hunde zu trennen. »Baby, hierher!«
    »Zu spät«, murmelte ich erleichtert. »Charlie!«, rief ich scharf. Mit sichtlichem Bedauern ließ er endlich von der Hündin
     ab und legte sich vor mich. Sein beleidigter Blick sprach Bände, er dauerte mich beinahe.
    »O Gott, Ihr Hund muss meinen überfallen haben.« Die Frau hatte die Hündin inzwischen am Halsband gepackt und streichelte
     das Tier hektisch.
    »Überfallen? Wie meinen Sie das?«
    »Baby ist ganz normal und so wie immer im Gebüsch herumgelaufen. Und auf einmal war sie weg. Alles Rufen nutzte nichts. Dann
     hörte ich Bellen, und sie kam wieder, Ihr Hund hinterher, und dann hat er sie … sie

Weitere Kostenlose Bücher