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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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im Leben aus der Kurve getragen werden, nichts war sicher, weder das Glück noch das Unglück, und deshalb
     mied ich Achterbahnen, so ganz anders als meine Schwester, die sich hungrig auf das Leben stürzte und nicht nachdachte. Sie
     nahm das Leben mit vollen Löffeln, erstickte fast manchmal daran, würgte, berappelte sich trotzdem immer wieder. Rita hätte
     Robert gerade in diesem Moment gefragt, ob er kommen würde. Ich beneidete meine Schwester darum.
    »Vielleicht findet sich ja in Sonjas Akte ein Hinweis auf Aremberg«, sagte ich, nur um irgendetwas zu sagen. »Ich habe die
     Akte aus der Psychiatrie entliehen, wollte sie gerade lesen.«
    »Dann hast du sicher ein gefülltes Abendprogramm.« Robert klang enttäuscht, hoffte ich.
    »Wann trefft ihr euch wieder?«
    »Morgen früh um neun. In Köln.«
    Ich wartete darauf, dass er mich fragte, ob ich auch kommen würde. Er tat mir den Gefallen nicht. Wir verabschiedeten uns
     mit seichten Floskeln. Ich legte auf und verfluchte mich.

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    Kapitel 23
    Das Feuer war inzwischen heruntergebrannt, ich legte neues Holz auf, holte Scheite von draußen, nahm mir etwas zu trinken,
     fütterte den Hund. Ich wusste genau, was ich tat – Vermeidungstaktiken. Immer wieder schaute ich auf das Handy, aber Martin
     rief nicht an. Schließlich fasste ich mir ein Herz und wählte seine Nummer. Er antwortete schlaftrunken.
    |208| »Conny?«
    »Ja.« Ich schluckte bitter. »Störe ich dich?«
    »Ich hatte mich hingelegt.«
    Das höre ich, wollte ich sagen. Mit wem und wo? Ich verkniff mir die Fragen.
    »Das tut mir leid.« Ich zog die Luft ein, überlegte.
    »Wir sind nicht wesentlich weitergekommen. Ich hatte gestern und heute nur Stau, dazwischen eine schwammartige Leiche. Die
     stank bis zum Himmel, und alles an ihr war flüssig oder geleeartig. Lebte wieder. Wunden konnte man nicht mehr erkennen.«
     Er schnaufte gequält. »Ich bin ja hartgesotten, aber das war doch etwas viel. Heute eine Besprechung, die bis auf alte Käsebrötchen
     und seltsame Blätterteigteilchen nichts gebracht hat.« Er stockte. »Ich weiß, ich hätte dich anrufen sollen. Wollte ich auch,
     aber ich bin eingeschlafen. Bist du mir böse?«
    Ich hielt den Atem an. »Ja.«
    Martin schwieg, stieß dann die Luft aus. »Ich mache es wieder gut. Wirklich. Ich habe Urlaub gebucht. Für uns beide. Göteborg.«
    »Was?«
    »Ja. Göteborg. Mit der Fähre von Kiel aus hin über Nacht, vier Tage im Hotel und dann zurück mit der Fähre. Gefällt dir das?
     Ich dachte, wir bräuchten mal Zeit für uns.«
    Ich fand keine Worte. »Du hast es gebucht?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Nach dem Fall.«
    »Wann ist der denn deiner Meinung nach gelöst?«
    »Ich habe reserviert und das Datum offen gelassen, Conny. Musst du wieder streiten? Muss das immer sein? Können wir nicht
     mal in Frieden einige Zeit miteinander verbringen?«
    »Kein Problem – du in Köln, ich hier. Da gibt es wenig Reibungspunkte.« Ich zog die Ofentür auf, stocherte in der Asche. »Ein
     Datum wäre trotzdem grandios. Ich habe gerade zwei neue Fälle für das Familiengericht übernommen. Ich muss planen können.«
    |209| »Hast du wirklich? Glückwunsch. Klar, das planen wir in Ruhe. Nach dem Fall.«
    »Wann ist das? Vor Weihnachten, aber du sagst das Jahr nicht?«
    »Conny, willst du schon wieder Druck machen? Ich liebe dich und werde es beweisen. Das schwöre ich. Ich zeige es dir, wenn
     die Zeit dazu da ist.«
    Ich kaute an meiner Lippe, wusste nicht mehr, was ich darauf erwidern sollte. »Wenn du meinst, das reicht«, sagte ich schließlich.
     »Gute Nacht.« Dann legte ich auf.
    Ich schlug die Akte auf, suchte nach der Anamnese. Das Kind war organisch vollkommen gesund und zeitgerecht entwickelt. Es
     gab nicht den kleinsten Hinweis auf einen körperlichen Missbrauch. Ich versuchte auch zwischen den Zeilen zu lesen, suchte
     nach Hinweisen, die unsere These bestätigen würden, fand aber nichts. Irgendwann gab ich müde auf, legte die Akte auf den
     Tisch und ging zu Bett. Ich schlief unruhig. Seltsame Träume quälten mich, in denen Menschen grausam misshandelt wurden.
    Am nächsten Morgen war der Himmel immer noch bedeckt, Wolken hingen tief über den Hügeln. Es würde sicherlich im Laufe des
     Tages regnen.
    Ich ging mit dem Hund, die Luft schien elektrisch geladen zu sein, ein Gewitter drohte. Wind kam auf und blies mir Staub ins
     Gesicht.
    Auf dem Tisch lag immer noch Sonjas Akte. Vielleicht war ich gestern zu müde oder zu abgelenkt

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