Lokalderby
Fußballverbände.«
»Schweinerei«, ärgerte sich Paul, der den Hannoveranern die Führung zutiefst missgönnte.
Umso erstaunlicher fand er es, dass sein Vater, der ja ein leidenschaftlicher Fan war, ihm plötzlich so ruhig und beinahe desinteressiert vorkam. Das passte überhaupt nicht zu dem alten Brummbären, der sich beim Fußballgucken gern und ausgiebig echauffierte. Ebenso wenig gefiel ihm die anhaltende Blässe im Gesicht des alten Herrn.
»Vati?«, fragte Paul. »Ist alles okay mit dir?«
Hermann nickte kurz, setzte zu einer Antwort an. Blieb jedoch still. Dann fasste er sich mit einer ruckartigen Bewegung an die Brust. »Ich. . . – mir ist so seltsam . . .« Er wirkte mit einem Mal besorgt, fast ängstlich. »Ich glaube, mein Herz. . .«
»Meine Güte, Vati!« Paul sprang auf. Er griff seinem Vater an den FCN-Schal, lockerte ihn. »Du bist kreideweiß. Kriegst du Luft?«
»Luft? Ja, ich kriege . . .« Hermann begann zu röcheln. »Mein Herz, Paul, ich fühle mich so . . .«
Paul packte ihn unter den Armen. »Wir müssen hier raus!«, bestimmte er und wuchtete ihn hoch. Natürlich deutete Paul die Symptome und dachte an das Naheliegende: einen Infarkt. Er wusste, dass es in einer solchen Situation auf jede Minute ankam.
Da sein Vater nicht der Leichteste war und kaum mehr eigene Kraft besaß, um auf die Beine zu kommen, hätte Paul gut die Hilfe der anderen Zuschauer gebrauchen können. In der Aufregung um das Phantomtor gingen Paul und die Nöte seines Vaters allerdings gnadenlos unter, sodass er Hermann mit befehlsartig vorgebrachten Aufforderungen zum Mitmachen zu motivieren versuchte.
»Vati, du musst helfen, sonst schaffen wir das nicht!«
Nur mit Mühsal und energischen Remplern gelang es ihnen, die Sitzreihe hinter sich zu lassen und den Mittelgang zu erreichen. Wenigstens hier zeigte sich einer der Ordner gnädig und packte mit zu.
»Was hat er denn?«, schrie der Aufpasser gegen den Lärm der protestierenden Fans an.
»Herzattacke!«, rief Paul, weil er keine Zeit verlieren wollte, selbst wenn sich das Ganze später bloß als Schwächeanfall herausstellen sollte.
Der Ordner – gedrungene Statur, kurz geschorenes Haar – erwies sich als rettender Engel. Er war auf Zack und dirigierte Paul und Hermann zielgerichtet vom breiten Zugangskorridor direkt hinein in die Katakomben des Stadionbaus. Während er das Tempo mit jedem Stöhnen von Hermann weiter erhöhte, bellte er Anweisungen in sein Walkie-Talkie: »Sicherheit an Krankenstation, bitte bereit machen, wir haben einen Code sieben.«
Oder sagte er »Code siebzehn«? Paul konnte es nicht genau verstehen, schenkte dem entschlossen auftretenden Wachmann aber sein blindes Vertrauen. Was blieb ihm schon anderes übrig?
Der Sanitätsbereich, den sie erstaunlich flott erreichten, wirkte auf Paul wie der Trakt eines Klinikums, den man auf die Schnelle dort herausgelöst und hier wieder eingefügt hatte: Räumlichkeiten, Ausstattung und Personal – alles entsprach dem Vorbild eines vollwertigen Krankenhauses. Bei der Einrichtung der Rotkreuzstation hatte man geklotzt und nicht gekleckert. Wohl nicht ohne Grund, denn nach einer Schlägerei zwischen rivalisierenden Fanlagern hätten Dutzende von Verletzten gleichzeitig behandelt werden können, dachte Paul.
Doch hier und jetzt konzentrierte sich die gebündelte Aufmerksamkeit der Krankenschwestern und Sanitäter auf einen einzigen Patienten: Ein Mann lag auf einer Trage, krümmte und wand sich, röchelte – und brachte den Notfalltross aus Hermann, Paul und dem Ordner abrupt zum Stehen.
Die Sanis hatten offenbar große Schwierigkeiten, dem Leidenden zu helfen. Dieser begann zu würgen, sein Gesicht war dabei wie zu einer grausigen Maske entstellt.
»Setzen Sie sich«, sagte eine junge Krankenschwester, die aufgelöst wirkte und kaum einen Blick für sie übrig hatte. Sie schob Hermann einen Schemel unter. »Wir kümmern uns sofort um Sie.« Gleich darauf sprang sie wieder ihren Kolleginnen und Kollegen bei.
»Den kenne ich«, sagte Hermann mit schwacher Stimme und ließ sich auf den Stuhl sinken. »Wichtiger Mann beim Club.«
Paul sah seinen Vater an, der ihm nun nicht mehr ganz so blass vorkam wie draußen auf der Tribüne. Er riskierte einen weiteren Blick auf den Kranken, um den herum sich immer mehr Leute sammelten. Unter die Helfer in Weiß mischten sich nun auch Zivilisten. Paul bemerkte eine Dame in grauem Kostüm, eine andere Frau, jünger und ziemlich aufgetakelt, und einen
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