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Lokalderby

Titel: Lokalderby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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stehenden Modzig, der gerade die Strafraumgrenze passierte. Die 96er-Abwehr wirkte für einen Moment total irritiert. Modzig erwartete den Pass von Kiyotake, doch dieser verzögerte.
    »Macht schon, Jungs!«, schrie Hermann.
    Paul hielt den Atem an, als sich die folgende Szene wie in Zeitlupe vor ihm abspielte: Zwei Abwehrspieler der Hannoveraner nahmen Kiyotake in die Zange. Sie verhinderten seinen Schuss, während Modzig völlig ungedeckt vorm gegnerischen Tor stand und zur Untätigkeit verdammt war. Nun aber stellte Sakowsky seine superschnelle Reaktionsfähigkeit, über die Paul mal in der Zeitung gelesen hatte, unter Beweis. Paul wusste, dass er zu einem der teuersten Spieler des Clubs zählte – und dieses Geld war er offenbar wert: Sakowsky verließ seine Position, überrannte Hannovers Abwehr, kaperte den Ball und schlüpfte in die Rolle des Stürmers. Statt zum bereitstehenden Modzig zu passen, ging er selbst in den Angriff über und zog aus 20 Metern Entfernung ab!
    Ein Schuss mit dem Vollspann, der einen weiten Bogen beschrieb, den Balken des Tors touchierte und . . . – sah Paul das richtig? – . . . ja!
    »Drin!« Hermann riss beide Arme nach oben, begann zu hüpfen.
    Das zweite Tor war im Kasten. Das hieß: erneuter Ausgleich, 2:2!
    Die Masse der Fans waberte wie ein einziger homogener Körper, indem Hunderte gleichzeitig von ihren Plätzen aufsprangen. Heftiger Jubel brach aus, der Beifall brauste durchs Stadion wie ein Orkan. Der Krach, zu dem Paul selbst lautstark beitrug, erreichte rekordverdächtige Dezibelwerte.
    Paul spürte, wie eine ungeheure Freude in ihm aufstieg – viel größer, als er es von sich gewohnt war, denn Fußball war für ihn ja eigentlich nur ein Sport wie viele andere. Doch er konnte und wollte sich der kollektiven Euphorie nicht verschließen, wurde mitgerissen von der Welle dieses starken positiven Gefühls.
    Diese Welle allerdings ließ ihn und die anderen schon nach wenigen Momenten fallen und sehr hart landen: Die Hannoveraner nutzten die freudenbedingte Unaufmerksamkeit der Club-Spieler für einen Blitzangriff und beförderten das Leder nach drei direkten Pässen in Schussposition. Sie kamen dem Nürnberger Keeper Raphael Schäfer am Rand des Strafraums gefährlich nahe . . .
    Paul hielt die Luft an. Wo, zum Teufel, blieb die Nürnberger Abwehr?
    Hannovers Topmann im Angriff drehte aufs Tor. Das Leder fetzte durch die Luft, Schäfer entschied sich bei seinem Sprung für die falsche Richtung. Wie eine Kanonenkugel donnerte der Ball aufs Tor zu, war durch nichts zu stoppen.
    Durch nichts? Paul starrte auf den Strafraum und versuchte mehr zu erkennen. Er sehnte sich seinen Fotoapparat herbei, mit dem er in einer solchen Situation das Wesentliche hätte heranzoomen können. Doch das, was er aus der Entfernung mit bloßem Auge erkennen konnte, musste ihm genügen. Und es reichte, um ihn aufatmen zu lassen: Der Ball prallte gegen den Innenpfosten, schnellte zurück in den Strafraum. Glück gehabt, dachte Paul. Ein Riesenglück!
    Zeit zum Verschnaufen blieb jedoch nicht. Der Linienrichter signalisierte dem Referee etwas, das Paul nicht verstand. Nach kurzem Schockzustand hob rings um ihn herum ein schrilles Pfeifkonzert an.
    »Was . . . – was ist da los?«, fragte Paul seinen Vater.
    Hermann, dessen Hautfarbe vom kräftigen Puterrot in Leichenblässe übergegangen war, glotzte unverwandt aufs Spielfeld, seine Augen schienen hinter der Brille hervorzutreten. »Das ist der Fluch von 1994.«
    »Was für ein Fluch?« Paul kapierte noch immer nicht, was hier ablief.
    »Eine Wiederholung des Phantomtors«, stammelte Hermann mit versteinerter Miene. »Damals, 1994, erzielte Thomas Helmer für den FC Bayern gegen den 1. FCN ein ganz ähnliches Tor. Ein Tor, das keines war, aber vom Schiri gewertet wurde.«
    »Aber das konnte doch ein Blinder mit Krückstock sehen, dass der eben nicht drin war!«, schimpfte Paul.
    »Genau wie 1994«, erklärte Hermann mit heiserer Stimme. »Helmer hatte in einer vergleichbar undurchsichtigen Situation den Ball Richtung Nürnberger Tor geschossen, verfehlte aber, sodass der Ball am rechten Pfosten vorbei über die Torauslinie rollte. Doch der Schiedsrichterassistent, der Idiot, wollte einen Treffer gesehen haben und signalisierte das dem Schiri.«
    »Das gibt’s doch nicht! Total ungerecht!«
    »Ja, deswegen sollen ja bald diese elektronischen Torerkenner zum Einsatz kommen. Aber darüber streiten sich noch die

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