Lokalderby
Vater und sah sich in der überschaubaren Runde der anderen Biergartenbesucher um. Dabei wurde er auf einen korpulenten Mann mit schlohweißem Haar, ebenso weißem Schnauzbart, grobporiger Nase und kräftiger roter Gesichtsfarbe aufmerksam, der im Kreise einiger Begleiter ebenfalls vesperte. Hermann winkte dem Mann zu, der daraufhin prompt aufstand, um sich zu ihnen zu gesellen. Auf dem Weg musste er zwei strohblonden Jungen ausweichen, die zwischen den Bierbänken mit einem abgenutzten Lederball kickten.
»Das ist der Helmut«, machte Hermann den Neuankömmling mit Paul bekannt. »Müsstest du noch von früher kennen. Hat auch beim FC trainiert.«
Paul erinnerte sich dumpf und drückte dem Mann die fleischige Hand: »Flemming, Paul Flemming«, stellte er sich sicherheitshalber noch mal vor.
»Ist mir eine Ehre«, sagte Helmut und zündete, kaum dass er saß, eine Zigarette an.
»Wir haben’s gerade von den Fürthern«, kam Hermann sogleich aufs Thema, wobei Paul befürchtete, er würde ihr Geheimnis ausplaudern. Doch zu seiner Erleichterung beließ es sein Vater bei Andeutungen: »Kannst du dir vorstellen, dass Greuther Fürth oder jemand aus der Fangemeinschaft etwas mit dem Tod des Busfahrers zu tun haben?«
Helmut zog verblüfft die Brauen hoch. »Ist das eine Fangfrage? Ich weiß ja, dass dein Herz aus unerfindlichen Gründen für den Club schlägt. Du bist ein hoffnungsloser Fall, Hermann. Du wirst nie begreifen, warum Fürth der bessere Verein ist.«
»Warum soll das denn der bessere Verein sein?«, hakte Paul sofort nach.
Helmut schmunzelte und blies eine Rauchwolke aus. »Vielleicht nicht der bessere Verein, aber allemal der charmantere. Wissen Sie, Paul: Bevor ich nach Herzi kam und hier die Jugend trainierte, war ich bei den Fürthern und habe dort jede freie Minute verbracht. Von daher weiß ich: Nicht bloß die Spielkultur ist hervorragend ausgeprägt, sondern auch die Fans sind nicht so aggressiv wie die Nürnberger. Ich weiß, wovon ich rede: Habe oft genug nach den Derbys die Gebisse und Glasaugen der Opfer aufgesammelt – und die wohnten meistens auf der Fürther Seite der Stadtgrenze.«
»Mit anderen Worten«, wollte Paul zusammenfassen, »ist Fürth. . .«
». . . ein gelassener, bodenständiger Verein«, vollendete Helmut den Satz. »Die Spieler werden nach wie vor gern aus dem eigenen Nachwuchs rekrutiert und haben dadurch ganz einfach den richtigen Stallgeruch. Das schärft den Teamgeist und sorgt für Fair Play. Aber leider werden sie immer dann, wenn sie richtig Fahrt aufnehmen, von anderen Vereinen weggekauft, manchmal sogar von Nürnberg. Nachvollziehbar, weil Fürth nicht so viel zahlen kann. Wenn einer 4 Millionen statt 500.000 auf den Tisch legt, würde ich auch nicht Nein sagen. Die Jungs müssen ihr Geld in diesem Beruf ja in 10 oder längstens 15 Jahren zusammenbekommen, und dann sollte es bis zur Rente reichen. Glücklicherweise folgen aber immer talentierte Nachwuchsspieler.«
»Und jetzt, nachdem die Fürther in die Erste Liga aufgestiegen sind, ist die Harmonie in Gefahr?«, fragte Paul.
Helmut überlegte drei tiefe Zigarettenzüge lang. Bevor er antworten konnte, musste er den Kopf einziehen, denn der Ball der kickenden Buben schoss knapp über ihren Tisch hinweg.
»Passt auf, ihr Rotzbengel!«, rief Helmut. Es klang weniger wie eine Schelte, sondern als würde er sie anfeuern. Dann wandte er sich wieder seinen Zuhörern zu: »Ich erzähle mal eine kleine Anekdote, wenn’s recht ist. Liegt schon ein paar Jährchen zurück: Damals gab es beim Probetraining der Fürther acht ständige Beobachter, hartgesottene Fanveteranen, die immer gern ihren Senf dazugaben zu dem, was sich auf dem Spielfeld tat. Einmal versuchte sich ein Neuzugang, ein Schwarzafrikaner, beim Elfmeterschießen. Erst versenkte er die linke Eckfahne und dann schoss er zehn Meter übers Tor, bis auf die Tennisplätze hinaus. Der Kommentar der Alten lautete: › Der passt zu uns, der bleibt. ‹ « Helmut grinste. »Verstehen Sie, warum ich die Fürther charmant nenne? Denselben Spruch würden Sie in einer ähnlichen Situation auch heute noch hören, selbst wenn sich die Fürther momentan aus Versehen in die Erste Liga verirrt haben. Von der Arroganz vieler anderer Erstligisten gibt es nicht die geringste Spur.«
Paul, der Gefallen an der freundlichen Selbstironie Helmuts fand, wollte die Gelegenheit nutzen, um noch ein wenig mehr über das schwierige Verhältnis zwischen den Nürnbergern und Fürthern
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