Lokalderby
Ihre zierliche, sportliche Figur wurde von einem schicken anthrazitgrauen Kostüm betont, ihre schlanken Beine ragten aus farblich passenden Pumps. Ein lässig um den Hals geschwungenes Seidentuch in changierenden Rottönen bot einen reizvollen Kontrast zum Business-Style ihrer Garderobe. Ihr freundliches, offenes Gesicht mit blitzblanken blauen Augen wurde umrahmt von vollem nussbraunem Haar, durch ein Haarband nur unzureichend gezähmt.
»Wen suchen Sie denn?«, erkundigte sich die Frau mit einer Stimme, die um Nuancen tiefer klang, als Paul von der zarten Erscheinung erwartet hätte. Als er ihr antwortete, musste sie herzlich lachen: »Dann ist Ihre Suche hier beendet. Sie haben sie gefunden.«
»Sie sind Frau Wagner, die Spielerberaterin?«, vergewisserte sich Paul, der in diesem Job eher eine wehrhafte Walküre erwartet hatte.
Ivonne Wagner tippte auf das dezente Namensschildchen, das sie am Reverskragen trug, und fragte nach Pauls Anliegen. Dieser brachte zunächst brav seinen Vorwand zur Sprache und redete über die Bilder, die er an besagtem Abend im Sanitätsbereich des Stadions geschossen hatte. Als ihn seine Gesprächspartnerin daraufhin direkt ins Vorzimmer des Vorstands weiterschicken wollte, rückte er auch mit dem anderen Grund für seinen Besuch heraus: »Mir geht es darum, mehr über Buggi Weinfurther zu erfahren. Dadurch, dass ich quasi zu den Zeugen seines Todes zähle, lässt mich diese Geschichte einfach nicht los.«
Ivonne Wagner musterte ihn von oben bis unten, allerdings so schnell, dass es nicht argwöhnisch oder gar beleidigend wirkte.
»Verstehe.«
Sie hob den rechten Arm und öffnete einladend ihre Handfläche.
»Dann sollten wir uns in meinem Büro weiter unterhalten. Ich habe zwar nicht viel Zeit, aber wenn es um Buggi geht, ist es mir das wert.«
Keine fünf Minuten später saßen sie in einem schlauchförmigen Raum, dessen cremeweißes Mobiliar sorgsam von den Zeugen der üblichen Büroarbeit befreit worden war: Nirgends lag eine offene Akte herum, es stapelte sich kein Papier und nicht mal ein Ablagefach war zu erkennen, geschweige denn ein Locher oder Tesafilmroller. Wahrscheinlich hortete Ivonne Wagner ihre Unterlagen in einem Schrank hinter ihrem Schreibtisch und kramte sie nur heraus, wenn kein Besucher da war. Statt Arbeitsutensilien dominierten zahlreiche Zierpflanzen das Minibüro und nahmen der peniblen Ordnung ein wenig Kälte.
»Was genau möchten Sie denn über unseren Buggi wissen?«, eröffnete sie das Gespräch. Ihre Arme ruhten auf der blitzblanken Schreibtischplatte, die sorgsam manikürten Finger hielt sie verschränkt.
»So viel wie möglich«, sagte Paul und nutzte die oft getestete Wirkung seiner braunen Augen. »Denn wissen Sie, seit dem tragischen Vorfall fühle ich mich dem Mann irgendwie verbunden.«
Ivonne Wagner spitzte die Lippen, während sie offensichtlich überlegte, inwieweit sie sich auf Paul einlassen durfte. Ob sie ihn mit ein paar Belanglosigkeiten abspeisen oder gewissenhaft auf ihn eingehen sollte. Schließlich gab sie sich einen Ruck: »In Ordnung, ich will mal nicht so sein. Aber um es gleich vorweg zu sagen: Wenn wir über Club-Interna sprechen, geht das keinen Außenstehenden etwas an.«
»Selbstverständlich. Ich habe nicht vor, Sie in irgendeiner Form in Schwierigkeiten zu bringen. Mir reicht es vollkommen, wenn ich ein bisschen was über Buggi erfahre . . .«, gab sich Paul bescheiden, obwohl er genau wusste, dass schon diese Information durchaus als Internum gewertet werden könnte. Seine Gesprächspartnerin jedoch ging auf seine Bitte ein.
»Buggi war ein Pfundskerl«, begann Ivonne Wagner. »Da wurde eine ganz wichtige Persönlichkeit mitten aus unseren Reihen gerissen.« Sie schlug die Augen nieder und lächelte traurig. »Das mag etwas seltsam klingen, wenn ich vom Busfahrer wie von einem Mannschaftskapitän rede, aber es ist wahr Buggi hat einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn im Team geleistet, denn er war ja auch für viele Details rund um den Trainings – und Spielbetrieb zuständig.«
»Wie sah denn sein Berufsalltag aus?«, erkundigte sich Paul.
»Im Prinzip ging das schon morgens um acht los, wenn er gemeinsam mit dem Zeugwart Schuhe, Wasserflaschen, das ganze Material ordnen musste. Dann Mittagessen mit der Mannschaft, kurze Pause, und anschließend weiter für die Einheit am Nachmittag. Der Feierabend folgte oft spät, vor allem bei Auswärtseinsätzen. Auch die Wochenenden bedeuteten
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