Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lokalderby

Titel: Lokalderby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
Vom Netzwerk:
lobte die »couragierte Spielweise« von Stürmer Kevin Modzig. Abwehroldie und Publikumsliebling Javier Pinola sei »Identifikationsfigur und Sympathieträger«, und bei Mittelfeldkicker Timmy Simons lobte sie den »kampfstarken Einsatz und seine nissige Spielweise«. Ausführlich ging sie auf Hiroshi Kiyotake, genannt »Kiyo«, ein und betonte, welch große Stücke der Fanklub auf den Japan-Import halte: »Kiyotake ist der technisch stärkste Spieler beim Club, verfügt über enorm enge und schnelle Ballführung, eine tolle Übersicht, und ist Ballverteiler im Mittelfeld. Er erzielt die meisten seiner Tore durch Freistöße, ist als Passgeber an den meisten Toren der Saison beteiligt.«
    Paul, der mittlerweile weitere Gesellschaft in Form einiger Spieler der Schafkopfrunde hatte, merkte, dass er nicht so bald auf sein eigentliches Anliegen – den Tod von Busfahrer Buggi – zu sprechen kommen konnte, wollte er die redselige Rita nicht in ihrem Elan bremsen. Also nippte er an seinem Kaffee und hörte brav, still und ergeben zu.
    So erfuhr er viel über die Aufstiege, die Abstiege, den Ruhm und das Elend des Clubs und entwickelte ein Gefühl dafür, dass der 1. FC Nürnberg angesichts seiner wechselhaften Geschichte eine besondere Spezies an gefühlsrobusten Fans benötigte. Je mehr Rita in ihrer unverfälscht ehrlichen, fränkischen Tonalität an Fachwissen preisgab, desto klarer zeichnete sich vor Pauls geistigem Auge ab, wie der sehr spezielle Mythos, der den FCN umwehte, entstanden war. Er speiste sich aus vielen großen und kleinen Anekdoten, aus erschreckenden Peinlichkeiten und ungewöhnlichen Skandalen, aus unerklärlichen Fehlschlägen, grandiosen Erfolgen und jeder Menge Tradition.
    »Wissen Sie, kein anderer Fußballverein in Deutschland hat es je geschafft, in mehr als 100 Spielen hintereinander ungeschlagen zu bleiben«, erzählte Rita von den Sonnenseiten der Vereinsgeschichte, um darauf sogleich einen Schatten fallen zu lassen: »Und kein anderer Verein ist je als amtierender Meister abgestiegen.« Die Club-Historie wurde begleitet von einer schweren Schuldenkrise in den Neunzigerjahren, dem vorübergehenden Sturz in die Drittklassigkeit und dem erlösenden Pokalsieg 2007. »Heute ist der Club so eine Art Fahrstuhltruppe«, räumte Rita ein, »mal steigt er auf und oft wieder ab.«
    Paul filterte die Informationen nach möglichen Verdachtsmomenten und hakte beim Thema Schuldenkrise nach: »Wie war denn das damals genau mit den vielen Miesen?«
    »Der Club hatte Rekordschulden von über 20 Millionen DM angehäuft, trudelte in eine Abwärtsspirale und kickte dann auch noch in der dritten Liga gegen Vereine wie Egelsbach oder Weismain. Schlimm. Die Justiz ermittelte wegen schwarzer Konten und verurteilte den Schatzmeister zu einer Haftstrafe. Dann schaltete sich auch noch der DFB wegen Schiri-Bestechung und frisierter Lizenzierungen ein.«
    Die Neunzigerjahre – das war für Pauls Dafürhalten entschieden zu lange her, um heute noch ausreichend kriminelle Energie für einen Mord zu liefern. Also hörte er weiter zu und ließ sich durch die Vereinsgeschichte bis in heutige Tage fuhren: »Der Pokalsieg von 2007 war schon eine feine Sache. Endlich wurde man als Clubberer nicht mehr mitleidig belächelt. Da kam ein neues Lebensgefühl auf«, brachte es Rita auf den Punkt. »Aber ob Sie‘s glauben oder nicht, selbst in den Stunden des Erfolgs ist die Vergangenheit immer präsent. Als Club-Fan bleibt man auf dem Teppich. Statt vom nächsten Meistertitel zu träumen, gehen wir es lieber pragmatisch an und sammeln für eine Bronzestatue von unserem Idol Max Morlock.«
    Morlock, der Superheld des FCN. Paul musste bei der Erwähnung dieses Namens, den sein Vater Hermann in Pauls Kindertagen mehr als oft genug schwärmend genannt hatte, unwillkürlich schmunzeln. Er wechselte jetzt doch vom Kaffee zum Bier und kam nun ohne weitere Umschweife auf sein ursprüngliches Anliegen zu sprechen: »Und was ist das jetzt mit dem Skandal um diesen Fahrer vom Mannschaftsbus? Über Buggi Weinfurther ist ja überall in der Zeitung zu lesen . . .«
    Paul hatte den Namen des Busfahrers noch nicht ganz ausgesprochen, als sich die Schafkopfler spontan abwandten und zurück zu ihrem Tisch gingen. Auch Rita schien das Thema nicht zu behagen, denn sie sagte ausweichend: »Das mit dem Buggi ist eine schlimme Geschichte. Der war doch gar nicht alt. Der hatte noch das halbe Leben vor sich.«
    »Ja, eine böse Sache.« Paul setzte

Weitere Kostenlose Bücher