Lokale Erschuetterung
FDP-Kreisvorsitzender Frank Lutzmann blickte auf das vergangene Jahr zurück und erläuterte während des Kreisparteitages das Antragsbuch der Liberalen.
Hanns ruft den Praktikanten.
|285| Kannst du mir sagen, wie du darauf kommst, dass Frank Lutzmann hier auf das vergangene Jahr zurückschaut und nicht auf den schönen Hintern der Kellnerin im Frankenburger Hof?
Der Praktikant guckt Hanns an, als sähe er ihn zum ersten Mal.
Wir machen demnächst mal eine kleine Schulung zum Thema Bildunterschriften. Ich hab keine Lust, diesen Blödsinn jedes Mal zu verbessern. Das kostet Lebenszeit, und davon hab ich nicht genug.
Hanns wischt mit der rechten Hand einmal durch die Luft, und der junge Mann verschwindet aus seinen Augen und aus seinem Kopf. Niemals wird es eine Schulung zum Thema Bildunterschriften geben. Nicht mit ihm. Er ist hier bald weg. Das hat er heute im Gefühl, auch wenn es gestern anders war. Noch nicht lange hier, aber schon auf dem Absprung. Eine Kurzfassung des Lebens könnte man das nennen. Heute kommt Daniel, und danach ist entweder alles anders oder gleichermaßen unerträglich. Beides verlangte, dass er sich hier vom Acker macht. Das Telefon klingelt.
Sag jetzt bloß nicht ab, Bürschchen. Wenn du absagst, komme ich dich holen.
Ausgeschlafen, fragt Bosse am anderen Ende, und Hanns braucht ein paar Sekunden, bis er Stimme und Frage einzuordnen weiß.
Geht so. Eher nicht, würde ich sagen.
Bosse schweigt, und Hanns schiebt hinterher: Hast du gehört, dass sie die Kerle geschnappt haben, die in den vergangenen Wochen Hakenkreuze und krude Sprüche an die Kreissparkasse geschmiert haben? Der Polizeibericht ist gerade reingekommen. Achtzehn besprühte Objekte, Kontakte zu rechtsgerichteten Gruppen, Hauptschulabschluss.
|286| Hanns macht eine Pause.
Steht hier nicht. Das mit dem Hauptschulabschluss. Aber ich denk mal, weiter werden die nicht gekommen sein, die Jungs mit den Sprühdosen.
Hanns, solche Typen interessieren mich nicht. Warum erzählst du mir das?
Weiß auch nicht. Weil es mir Spaß macht, dir zu erklären, dass der Weg zu intelligentem Rechtsradikalismus weit ist.
Bosse lacht, und Hanns merkt, dass er dieses kluge Arschloch mag. Das gefällt ihm nicht. Er hat eigentlich keine Lust, irgend so ein Kleinstadthorstmahler zu werden.
Was hältst du eigentlich von Horst Mahler?
Wichser, sagt Bosse und lässt das erst mal stehen.
Jetzt schweigt Hanns. Lässt ihn kommen, den jungen Mann. Soll er mal erzählen, warum ihm einer wie Mahler nicht passt, der sich von rechts nach ganz links nach ganz rechts gearbeitet und dabei nur verbrannte Erde hinterlassen hat.
Es liegt nicht nur daran, dass der Typ ein Verräter ist. Obwohl man sich da nicht sicher sein kann. Möglicherweise war er schon immer ganz weit rechts, und es hat nur niemand gemerkt. Nicht mal er selbst. Jetzt lacht Bosse wieder.
Hanns nickt. Der Gedanke ist ihm auch schon gekommen. Dass die Renegaten gar keine sind, sondern einfach keine Lust mehr haben, sich zu verstellen. Die Schilys, Fischers, Sarrazins und wie sie alle heißen mögen.
Mahler ist wahnsinnig, schiebt Bosse noch hinterher.
Kann ich gar nicht leiden. Wahnsinnige Rechtsradikale.
Jetzt lachen sie beide. Einen netten kleinen Männerbund schmieden sie in diesem Moment.
Kommst du heute Abend auf ein Bier, Hanns?
|287| Vielleicht später, ich bekomme Besuch aus Berlin. Ein Freund. Mal schauen, was wir am Abend machen.
Hanns schreibt noch einen Text über den Kleingartenverband. Das Ehrenamt im Kleingartenwesen wird oft unterschätzt, lässt er den neu gewählten Vorsitzenden sagen und fragt sich, wie es möglich sein kann, ein Wort wie Kleingartenwesen in den Mund zu nehmen, ohne dass einem die Zunge abfault.
Wir müssen mehr junge Menschen gewinnen, um den Fortbestand des Kleingartenwesens im Kreis Frankenburg zu gewährleisten.
Hanns murmelt die Sätze, die er schreibt, vor sich hin und denkt, dass er den Praktikanten heute übertrumpft im Verfassen fürchterlicher Satzkonstruktionen. Gequirlte Scheiße, das alles, murmelt er. Bullshit, das kann sofort in die Tonne, und dort soll es verrotten.
Er schaut nach, was sonst noch auf die Seite mit den Kleingärtnern und ihren Nachwuchssorgen und mit dem liberalen Bibliothekskonzept kommt. Ein Nachruf auf den Bürgermeister Karl Seeler.
Mit Betroffenheit erinnern sich die langjährigen Weggefährten der ehemaligen Verwaltungsgemeinschaften Brocke und Cammin an die vielen Jahre des gemeinsamen Wirkens.
Hanns
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