Lokale Erschuetterung
ernst, aber er lässt die Worte spielerisch klingen, um die Frau nicht unter Druck zu setzen.
Wenn ich aus all dem Unglück komme. Vielleicht. Aber ich bin ja noch gar nicht richtig drin, im Unglück. So ein weiter Weg, Martin, was soll ich nur machen?
Aus den Augenwinkeln sieht er ein Pärchen, das sich rechts von ihnen an die Mauer lehnt. Genauso, wie er es vermutet hat, der Junge steht vor dem Mädchen. Martins Bullenseele vermutet, dass die beiden sich erst in Stimmung rauchen. Das enttäuscht ihn. Leidenschaft und Begierde sollten ohne Cannabis funktionieren. Aber was weiß er schon von den Kids? Er hat alles vergessen oder war nie nah genug dran an denen.
Was soll ich für dich tun?
Daniel Leutert. Das könnte der Junge sein. Ein Name und ein Geburtsdatum. Könntest du ihn für mich finden? Schnell? Heute noch? Morgen früh?
Warum so schnell?
Veronika senkt den Kopf, so dass ihre Haare das Gesicht verdecken. Daniel ist ein Freund von Hanns. Schon über ein Jahr. Er hat ihn, Hanns, meinen Mann, einmal davor bewahrt, einen Supermarkt in Schutt und Asche zu legen. Aus blanker Wut. Daniel hat das richtige Alter, und ich habe ihn noch nie gesehen. Er ist wie ein Phantom. Jetzt auf einmal kommt mir diese Freundschaft seltsam vor. Zwischen dem Jungen und meinem Mann. Hanns geht es auch so. Er findet Daniels Zuneigung sonderbar. Der Junge hat so gar nichts.
|280| Sie spricht leise. Kaum noch zu verstehen ist sie. Martin hebt sie von der Mauer runter, um ihr in die Augen sehen zu können.
Aber das ist weit hergeholt, Veronika. Meilenweit hergeholt. Du glaubst, Daniel habe sich deinem Mann gezielt genähert?
Um mehr über mich zu erfahren, ja. Irgendwie muss der Mensch.
Sie dreht sich um, wendet ihm den Rücken zu, dass es sich leichter redet und denkt. Sie will nicht abgebracht werden von ihrer Idee. Sie will, dass es glaubwürdig klingt für Martin. Der soll ihr Daniel Leutert finden, so dass sie einen Blick auf ihn werfen kann. Sie wird sofort wissen, ob es ihr Sohn ist. Sofort. Das muss ihr Polizistenfreund nicht verstehen. Aber so wird es sein.
Irgendwie muss der Mensch, der mir diese Briefe schreibt, doch an all die Informationen gekommen sein.
Er könnte dich einfach beobachtet haben. Du glaubst gar nicht, wie viel man über einen Menschen erfährt, wenn man ihn beobachtet.
Veronika schüttelt den Kopf. Sie tut dies in Zeitlupe, als machte das mutiger und gäbe dem Glauben einen anderen Halt.
Es ist nicht nur Wissen, das sich aus Beobachtung speist. Er muss eine Quelle haben. Und Hanns wäre die beste aller Quellen. Such ihn für mich, Martin. Ich tue nichts Schlimmes. Gehe einfach nur hin und schaue mir Daniel Leutert an. Übermorgen fährt er nach Frankenburg und besucht Hanns. Aber wenn ich es vorher schon weiß, muss Hanns ihn gar nicht zur Rede stellen. Es wäre sowieso nicht gut. Hanns mit seiner Wut. Er könnte alles kaputtmachen.
Veronika rückt näher an Martin ran, ganz nah. Sie küsst ihn auf den Mund, sie legt die Arme um ihn, krallt sich an seinem Rücken fest.
|281| Ich werde benutzt, denkt Martin. Ich werde benutzt von einer verzweifelten Mutter, auf die ich scharf bin. Sie könnte ein Monster sein, und ich wäre scharf auf sie. Sie wird alles für mich tun, wenn ich jetzt mit ihr ins Büro gehe und nachschaue, wo man Daniel Leutert findet. Sie wird mich lieben, diesen wütenden Hanns verlassen, zu mir kommen, mir ewig dankbar sein. Und wenn dieser Daniel wirklich an dem Tag geboren ist, an dem Veronika ihr Kind zur Welt gebracht hat, könnte sie recht haben. Es wäre ein verdammter Zufall, wenn der Name und das Geburtsdatum stimmen und dieser Daniel Leutert nicht ihr Sohn ist.
Veronika hat die rechte Hand in Martins Hosenbund geschoben und drückt mit den Fingern auf seinem nackten Hintern rum, spielt eine Melodie mit den Fingern, die sich nach vorn bewegt und das Begehren weckt.
Martin, sagt sie, Martin, mach mich ganz. Lass uns gehen und nachsehen, und danach laufen wir zu dir. Morgen schaue ich mir Daniel an oder nicht. Wenn das Geburtsdatum nicht stimmt, ist es sowieso erledigt. Dann kann ich nur noch warten. Bis jemand bei mir vor der Tür steht. Bis ich verrückt werde.
Du bist doch schon verrückt, Liebchen, denkt er. Dich macht niemand mehr ganz. Dann nimmt er ihre Hand, zieht sie weg von seinem warmen Hintern.
Komm, sagt er, komm, wir gehen zu mir ins Büro. Ich schaue nach. Aber du musst mir versprechen, dass ich bei dir sein kann, wenn du dir den Jungen anguckst.
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