Lokale Erschuetterung
noch jemand anders.
Das bin ich, sagt Daniel und lacht wieder. Du musst nur rausfinden, wer ich sonst noch sein könnte. Dein Halbbruder?
Hanns schüttelt den Kopf und grinst. Das traue ich meinem Vater nicht zu. Dass der nach achtzehn Jahren Ehe irgendwo einen kleinen Bastard in die Welt gesetzt hat. Ausgerechnet mein Vater. Der hatte Angst vor seinem eigenen Schatten. Daniel schweigt. Es kommt Hanns so vor, als hätte er ihn jetzt beleidigt. Nicht, dass ich es nicht schön fände, wenn du mein Halbbruder wärst. Wärst du mein Halbbruder, schiebt er hinterher.
Du bist echt dein eigenes Rechtschreibgrammatikprogramm, sagt Daniel und lächelt wieder. Wieso kannst du nicht einfach mal einen falschen Konjunktiv stehenlassen?
Geht nicht. Geht gar nicht. Da bin ich alte Schule. Werde wohl als Lokalredakteur daran arbeiten müssen, es ein wenig schleifen zu lassen. Hanns holt seine Sonnenbrille aus der Jackentasche. Die Wildlederjacke fühlt sich ungewohnt an. Er weiß noch nicht, ob es wirklich die sein soll für die kommenden Jahre. Vielleicht doch nicht. Vielleicht wollen die in dem Kaff lieber einen mit schmuddligem Jackett. Fischgrätenmuster oder Pfeffer und Salz. |86| Das wird er heute schon rauskriegen. Er wird es sehen. Und wahrscheinlich auch fühlen.
Warum ist deine Frau eigentlich nicht mitgekommen? Daniel kramt in seinem Rucksack und stellt die Frage eher beiläufig. So, als wollte er einfach nur das Gespräch am Laufen halten. Vielleicht ein bisschen zu beiläufig, denkt Hanns und fragt sich im gleichen Augenblick, warum er das denkt. Sie ist nicht gut drauf zurzeit. Eher schlecht. Habe ich dir ja gestern Abend schon gesagt. Am Telefon. Vroni will sich operieren lassen, Gebärmutter entfernen. Das macht mit Frauen immer irgendwas. Kann ich nicht nachvollziehen, aber es scheint recht heftig zu sein. Gestern jedenfalls war sie völlig neben sich. Oder außer sich, wie man es nimmt. Außerdem bekommt sie seltsame Anrufe. Sagt sie. Da ruft jemand an und sagt am Telefon nur Ah.
Ah, wiederholt Daniel und hört auf, im Rucksack zu kramen. Das ist seltsam, nicht wahr. Ich bekäme ein bisschen Angst.
Na klar, du Weichei, denkt Hanns und schämt sich sofort. Ich finde es übertrieben, ehrlich gesagt. Veronika ist einfach in einer Krise. Sie. Sie wollte immer ein Kind, und das hat nie geklappt. Stimmt so nicht. Es hat geklappt, aber das Kind starb kurz vor der Geburt. Veronika hat ein totes Kind geboren, mit allem Drum und Dran. Wehen einleiten und so Zeug. Das hat sie irgendwie nicht.
Hanns hört auf rumzustottern und schaltet das Radio ein. Jemand verspricht zehn Prozent auf alles. Außer Tiernahrung. Dann stimmt der Satz nicht. Murmelt Hanns. Bei alles gibt es kein außer.
Daniel lacht und macht das Seitenfenster ein wenig auf. Du bist echt der Hammer, Hanns. Selbst in den schlimmsten Momenten spielst du noch den Deutschlehrer. Da erzählst du mir so eine Geschichte, von einem toten Kind, |87| das ihr bekommen habt, und im gleichen Atemzug. Ehrlich, das ist schon sonderbar mit dir. War das Veronikas erste Schwangerschaft?
Ja, sagt Hanns, und wundert sich, dass Daniel das interessiert. Die erste. Wir hatten alles besorgt, was man so braucht für ein Leben mit Kind. Waren perfekt aufgestellt. Unglaublich perfekt. Wohnen heute noch in der Wohnung, die wir uns damals während der Schwangerschaft gesucht hatten. Vier Zimmer. Damit das Kind eins hat und Veronika ein Arbeitszimmer bekommt. Ich habe das nicht gebraucht. Ich bin jeden Tag in die Redaktion gegangen und habe Schlagzeilen gemacht. Und diese Schlagzeile hätte dann geheißen: Totes Kind geboren. Mutter wird wahnsinnig. Oder: Mutter bringt totes Kind zur Welt, ganz Berlin trauert. Oder: So sah der Kleine aus. Wie ein schlafender Engel. Oder: Wer ist schuld daran, dass Daniel sterben musste?
Jetzt kann Hanns nicht sehen, wie es hinter der schwulen Sonnenbrille aussieht. Die letzte Schlagzeile hätte er wohl besser gelassen. Was ist nur in ihn gefahren.
Ihr wolltet den Jungen Daniel nennen, fragt Daniel und nimmt die Sonnenbrille ab. Hanns nickt und schaut geradeaus.
Daniel oder Daniela, wenn es ein Mädchen geworden wäre. Das hätte ich jetzt mal besser für mich behalten. Obwohl es ja nichts zur Sache tut. Gibt schließlich viele Daniels auf der Welt.
Daniel nickt und setzt die Brille wieder auf. Zeigt mit dem Finger auf das Schild, das die nächste Abfahrt ankündigt. Frankenburg, sagt er. Dein Schicksal liegt vor uns.
Hanns schluckt und findet
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