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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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so lange, bis ihr ein paar Tropfen der blauen Brühe ins Gesicht spritzen. Danach steigt sie unter die Dusche und bleibt da zwanzig Minuten. Pfeift auf die Wasserkosten. Sie muss sich den Kummer wegspülen.
    Um zehn ruft sie in der Klinik an und fragt, wie die Prozedur abliefe. Könnten Sie sich heute noch eine Überweisung von Ihrer Gynäkologin holen, fragt die Schwester. Ja, das kann sie. Da sei nämlich gerade zehn Minuten vorher ein Termin am Nachmittag frei geworden, erklärt die Frau am anderen Ende. Hat die Frau, der dieser Termin zugedacht war, es sich anders überlegt, fragt Veronika. Die Schwester schweigt.
    Veronika nimmt den Termin. Sie frühstückt, zieht sich an und macht sich auf den Weg zu ihrer Gynäkologin. Eine gute Bekannte, da kann sie hinkommen, ohne vorher zu fragen. Willst du wirklich, fragt die Gynäkologin. Hast du dir das gut überlegt? Veronika denkt, dass hier eine Freundin sitzt. Eine Fast-Freundin. Sie kann jetzt trotzdem nicht sagen, warum es auf einmal schnell gehen muss. Dass sie nicht mehr will. Dass sie jeden Monat trauert. So vertraut ist ihr die Frau doch noch nicht, zu der sie früher so oft gegangen ist und nun nur noch einmal jährlich kommt.
    Ja, sagt sie, ich habe mir das überlegt.
    Die Ärztin schweigt dazu und stellt die Überweisung aus. Das ist eine gute Klinik, sagt sie. Wenn es so geht, mit dieser Methode, solltest du das unbedingt auf diese Art machen lassen.
    Im Briefkasten liegt ein Brief, der sieht aus wie die beiden anderen. Veronika nimmt ihn und steckt ihn in die |78| große Handtasche. Nicht einmal ihr Puls beschleunigt sich. Vielleicht hat sie sich jetzt schon daran gewöhnt. Vielleicht ist es gar nicht mehr schlimm.
    Hanns ist nicht zu Hause. Veronika steigt aus den Schuhen, geht zum Kühlschrank und gießt sich ein Glas Wein ein. Bis zum Vorstellungstermin in der Klinik ist noch Zeit, niemand wird dann noch den Alkohol riechen. Auf dem Küchentisch liegt ein Zettel von Hanns. Da steht, dass er heute mit Daniel nach Frankenburg fährt. Frankenburg, denkt sie. Was will er denn da? Dann fällt es ihr ein, sein neuer Arbeitsort. Frankenburg. Und dass er sich gestern Abend mit Daniel verabredet hat, um mit dem da hinzufahren. Sie hat noch nicht mal auf der Karte nachgeschaut, wo das liegt. Eigentlich sollte ich mit ihm hinfahren. Und nun ist er mit Daniel unterwegs.
    Es ist Jahre her. Da fuhr sie manchmal mit, wenn Hanns unterwegs war. Jemandem auf den Fersen blieb, um später einen mehr oder weniger ehrlichen Text über den Mann oder die Frau zu schreiben. Sie hatte die seltsamsten Touren mitgemacht. Sich in den kleinen und größeren Städten verlustiert, während Hanns dabei zusah, wie jemand andere Menschen dazu bewegen wollte, ihn zu wählen. Oder sie. Was tun die den ganzen Tag, hatte sie Hanns manchmal abends gefragt, wenn der amüsiert oder frustriert zu ihr ins Hotel kam. Hanns hatte gelächelt, ein bisschen fies, fand sie, und hatte gesagt: Brauereien besuchen, Biohöfe, Weinbauern, Kindergärten, Integrationsschulen, Werften, Tischlereien, Gastwirte. Sie reden ununterbrochen. Einige können auch zuhören. Sie stellen sich auf die Straße an kleine Plastiktische, in deren Mitte ein Loch gestanzt ist, um einen Sonnenschirm in den Farben ihrer Partei reinstecken zu können. Sie verteilen Luftballons und Kugelschreiber und Faltblätter mit ihrem Konterfei und Lebenslauf. Sie halten abends in Kneipen und Hinterzimmern große Reden, |79| telefonieren ununterbrochen im Auto, beschwichtigen Kreisvorsitzende, becircen Landräte, befriedigen den einfachen Mann und die einfache Frau von der Straße. Beide sind ihre eigene Erfindung: der einfache Mann und die einfache Frau. Sie nennen diese Erfindung der kleine Mann und die kleine Frau von der Straße. Die werden sie nun nicht mehr los, diese Erfindung. Das ist ein harter Job, Vroni. Härter als die Arbeit eines Staubsaugervertreters. Der Staubsaugervertreter muss allemal nur erklären, dass er die tollsten Staubsauger der Welt verkauft. Die müssen den Leuten weismachen, dass sie für fast alles eine Lösung haben. Und zwar die tollste Lösung der Welt.
    Veronika war einmal einen Tag mitgegangen. Einen langen Wahlkampftag hatte sie mitgemacht. Nie wieder, hatte sie danach zu Hanns gesagt. Am Vormittag waren sie tatsächlich in einer Brauerei gewesen. Der Abgeordnete, ein alter Haudegen, dem keiner mehr was vormacht im Bundestag. So präsentierte er sich überall. Er war mit Getöse eingeritten in die Brauerei.

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