Lokale Erschuetterung
geben, fällt er ins Bodenlose beim Schauen. Fast zieht es ihn hinab. Dann wäre hier gleich der erste Besuch zum Eklat geworden. Gar nicht schlecht, die Vorstellung. Wie er da einfach in die Titten der Verkäuferin fällt, den Kopf reinsinken lässt, um zu ersticken oder glücklich zu werden. Hanns schaut der Frau in die Augen und sieht, dass er nicht der Erste ist und nicht der Letzte sein wird, der so etwas denkt. Er sieht, dass sie weiß, wie er sich das gerade vorgestellt hat. Sie lächelt ihn |93| müde an und wünscht einen schönen Tag. Bald werde ich über die einen Artikel schreiben, denkt Hanns. Wenn die in der Redaktion mal ein hübsches Schmäckerchen haben wollen, was Nettes für die Wochenendbeilage oder kurz vor Ostern. Natürlich schön, wird er titeln. Marina Hagedorn sorgt für Wohlbefinden und süße Stunden. Und die Serie wird er »Heimat hautnah« nennen.
Wie heißen Sie, fragt er die Verkäuferin. Katja Schwenker, antwortet die und sieht überrascht aus. Am liebsten hätte Hanns jetzt nachgefragt, warum sie verdammt noch mal nicht Marina Hagedorn heißt. Aber Daniel ist schon drei Stände weiter und redet mit einem Mann, der grobgeflochtene Körbe verkauft. Sind die nicht schön, fragt er, als Hanns neben ihm steht. Ich werde einen kaufen, den da, den hellen mit dem kleinen roten Rand.
Der Korbflechter will zwanzig Euro für das Stück, von dem Hanns sich nicht vorstellen kann, dass Daniel es wirklich braucht. Aber ja, soll er.
Ich werde ihn als Wäschekorb benutzen. Im Bad. Für schmutzige Handtücher.
Muss er das alles so genau erklären, fragt Hanns sich. Will ich wirklich wissen, wie Daniel seinen Haushalt organisiert und ob er auf schmutzigen Handtüchern schläft oder sie ins Körbchen packt? Auf einmal kommt es ihm seltsam vor, hier nicht mit Vroni zu sein, sondern mit Daniel. Dass er nicht mit seiner Frau über den Markt schlendert und unsinnige Einkäufe macht, sondern mit einem viel jüngeren Mann, von dem er mehr und mehr glaubt, dass er schwul ist und ihm nur an die Wäsche will. Woraus sich plötzlich diese Gewissheit nährt, kann Hanns sich zwar nicht erklären, aber es ist auch scheißegal.
Bring den Korb doch schon ins Auto, schlägt er vor, um den Jungen für ein paar Minuten loszuwerden. Und Daniel dreht sich ohne Widerwort um, nachdem er Hanns in |94| die Jackentasche gegriffen hat, um den Autoschlüssel rauszuholen. Fast hätte ihm das eine Ohrfeige eingebracht, dieses Taschengefummel. Hanns spürt, wie sich tiefrote Abscheu breitmacht. Hinter den Augen wird es blutig dunkel. Die seltsamste Kombination von allen, das denkt er jedes Mal. Tiefrot, eigentlich wunderschön anzusehen, satt wie ein guter Wein. Und dann diese Verbindung mit Abscheu. Nicht Ekel. Ekel ist olivfarben. Oder armeegrün. Wie man’s nimmt.
Zum Glück ist Daniel so schnell verschwunden, dass keine Zeit für einen Ausfall bleibt. Er zieht mit seinem handgeflochtenen Korb von dannen, und Hanns kann einatmen und ausatmen. So lange kann er das tun, bis es wieder klar wird im Kopf und hinter den Augen. Leise murmelt er dabei vor sich hin: Gurkenheinrich, Halbseidener, Heißer, Schwanzäugler, warmer Ofen, Südländer, Schwuchtel, Arschpuderer. Die Farbe hinter den Augen verschwindet. Das probateste Mittel von allen, denkt Hanns. Wenn gar nichts mehr hilft, machen die Wörter wieder einen normalen Menschen aus mir. Daniel, du warmes Würstchen, schickt er noch hinterher, dann ist es gut. Die Welt ist wieder ins Lot gerückt. Ich kann froh sein, dass mir die Worte nicht ausgehen, denkt Hanns noch, bevor er seine Marktrunde wiederaufnimmt. Gehen sie mir mal aus, fließt Blut. Nun muss er grinsen bei diesem martialischen Gedanken. Er sieht sich an einem Freitagvormittag hier auf dem Marktplatz Amok laufen, mit fetter blauer Wut hinter den Augen und einem Jagdgewehr in der Hand. Wie er auf Katja Schwenker zuläuft, ihr das Gewehr zwischen die großen Titten hält und den letzten Satz seines und ihres Lebens sagt. Der sollte wie eine Schlagzeile klingen, denkt Hanns. Wie eine richtig gute Schlagzeile.
Niemand sagt, dass es leicht ist, doch irgendwann reicht es
, singt er leise vor sich hin. Warum |95| nicht Fanta 4.
Wir haben lang aneinander gehangen und lassen jetzt los.
Es geht ihm wieder gut. Der Marktplatz ist nett, Daniel meint es nur gut, er ist ein echter Freund, Katja Schwenker wird berühmt, wenn er ihr erst ein Denkmal auf der Lokalseite gesetzt hat, und Vroni wird an den Wochenenden kommen und ihn
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