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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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Dann saß man in einem großen Besprechungsraum, ringsum Vitrinen mit all den Dingen, die inzwischen zum Bier gehören. Mützen, Schlüsselbänder, T-Shirts, Jacken, Schirme, Uhren. Der Tisch war üppig gedeckt mit belegten Brötchen, Tee, Kaffee, Wasser, Saft. Für Bier sei es noch zu früh am Tag, hatte die Pressesprecherin erklärt. Sie wirkte so professionell in allem, was sie tat und sagte, dass der Kandidat dagegen den Eindruck machte, man habe ihn gerade eben auf der Straße gecastet, um einen Termin mit einem Bundestagsabgeordneten nachzustellen. Er wirkte schmuddelig, zerknittert. Dann war Schweigen. Die Pressefrau und die Leute von der Geschäftsleitung der Brauerei starrten den Kandidaten an und schienen darauf zu warten, dass er sich erklärt. Sie sahen aus, als läge ihnen die Frage, warum und zu welchem Zweck er hier sei und ihre |80| Zeit stehle, auf der Zunge. Sie stellten sie nicht. Der Kandidat hatte sofort nach den belegten Brötchen gegriffen, sich einen Kaffee eingegossen und losgegessen. Kein Frühstück, sagte er, früh um acht schon den ersten Termin gehabt. Die Pressefrau nickte höflich und wartete weiter.
    Veronika erinnert sich, wie ihr das Ganze die Schamesröte ins Gesicht trieb. Ihr, die sie nur mitgekommen war, weil ihr Mann eine Reportage schreiben wollte. Murmelnd hatte Hanns sie als Kollegin von der Zeitung vorgestellt, und niemand hatte gefragt. Irgendwann hatte der Kandidat begriffen, dass von ihm etwas erwartet wurde. Aber was? Man sah ihm an, dass er überhaupt nicht wusste, warum er hier war. Oder falsch. Er wusste es natürlich, schließlich war Wahlkampf. Aber niemand hatte ihm erklärt, wie er seine Anwesenheit hier nun begründen könnte. Gehörte die Situation der Brauereien im Allgemeinen und Besonderen zu den Themen der Zeit? Ging es denen eher schlecht oder gut? Hatte er irgendetwas anzubieten, ein Gesetz, eine Verordnung, einen politischen Kampf, den er zum Wohle der Brauereien seines Wahlkreises zu kämpfen gedachte? Veronika sah, wie entgeistert die junge Büromitarbeiterin wirkte, als ihr klarwurde, sie hätte ihrem Chef einen Spickzettel schreiben müssen für diesen Termin.
    Wie hältst du diese peinlichen Situationen nur aus, hatte Veronika ihren Mann hinterher gefragt. Diese Leute regieren uns, wie hältst du es aus, da zuzugucken.
    Die sind nicht alle so, hatte Hanns gesagt und ihr einen Kuss auf die Nase gedrückt. Der hier ist einer von der ganz schlimmen Sorte. Sitzt aber seit achtzehn Jahren im Bundestag. Unglaublich, oder?
    Veronika nimmt das Handy aus ihrer Tasche und ruft Hanns an. Seid ihr schon in Frankenburg, fragt sie.
    |81| Ja, sagt er, es ist klein hier. Wir sind erst eine Stunde da, aber ich glaube, ich kenne jetzt die ganze Stadt. Veronika hört das halbe Elend aus diesem Satz.
    Hanns wird dort keinen Ort haben, seine Wut zu verstecken. Jetzt kehren sich die Dinge um. Wenn du alles zu schlimm findest, dann lass es sein, sagt Veronika und hält kurz den Atem an. Wenn du da nicht sein kannst, bleibst du hier bei mir. In der Stadt. Da finden wir dann auch.
    Hanns schüttelt den Kopf. Sie kann es hören. Das geht dann schon, Vroni. Ich werde mich hier einrichten. Daniel findet die Stadt sogar niedlich. Hanns lacht, und Veronika hört noch jemand lachen.
    Bring Daniel doch heute Abend mit zum Essen, sagt sie und findet das geradezu verwegen. Sie hört, wie Hanns ihn fragt. Die Antwort kann sie nicht verstehen. Er bedankt sich, sagt Hanns in Veronikas Ohr. Aber er ist heute Abend schon verabredet. Ihr fällt ein winziger Stein vom Herzen. Keinen Grund gibt es dafür, aber es ist so. Sie will Daniel nicht kennenlernen. Vielleicht, weil er Hanns allein gehören soll. Vielleicht, weil sie eine Ahnung von ihm hat. Außerdem hat sie ihre Menschen um sich gesammelt. Ausreichend, findet sie. Auch wenn sie zur Zeit alles schleifen lässt, niemanden trifft, für sich sein möchte.
    Hanns ist allein. Keine Freunde. Ein Schulkumpel irgendwo, mit dem er sich einmal im Jahr verabredet. Sonst nichts. Kollegen von früher, mit denen er noch eine Zeitlang Bier trinken gegangen ist. Das ist schon eine kleine Ewigkeit her. Hanns bleibt zu Hause. Schon lange. Manchmal, wenn sie abends fortgeht, um sich mit einer Freundin zu treffen, steht sie vor der Wohnungstür und lauscht. Dann will sie wissen, was er jetzt in diesem Augenblick macht, da sie die Wohnung verlassen hat, fort ist aus seinem |82| Leben. Und was sie hört, macht ihr Kummer. Nichts. Hanns scheint sich nicht

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