Lokale Erschuetterung
es dumm, so was zu sagen. Weil es stimmt. Dieses noch dümmere Gefühl hat er jetzt. Frankenburg wird irgendetwas mit ihm machen. Er |88| nimmt die Ausfahrt etwas zu rasant, und für einen winzigen Moment fährt das Auto auf zwei Rädern, rast auf der Kippe um die Kurve, um dann wieder ins Lot zu kommen. Hanns, sagt Daniel und hält sich mit der rechten Hand am Türgriff fest. Was machst du denn? Hanns kriegt sich ein. ’tschuldigung, murmelt er, und es ist ihm wirklich peinlich. Er ist ein guter Fahrer und unfallfrei all die Jahre durchs Leben gekommen.
Bis Frankenburg sind es noch zwanzig Kilometer, die schweigen sie beide im Auto. Daniel guckt aus dem Seitenfenster und malt mit dem Zeigefinger Kringel aufs Glas. Wie ein Weib, denkt Hanns und schielt alle paar Sekunden zu ihm hinüber. Vroni macht das auch immer, wenn wir uns gestritten haben. Auf die Scheibe malen und in die Landschaft gucken. Und ich sitz da wie ein Depp, weil ich weiß, dass wieder irgendetwas schiefgelaufen ist. Aber was, das wird sie mir dann erst eine Woche später sagen, wenn ich’s schon längst vergessen habe. Und dann wird sie diesen Typischblick draufhaben. Typisch, dass du’s vergessen hast, Hanns, aber ich, ich hab oft daran gedacht in den letzten Nächten. Er krampft die Hände um das Lenkrad, bis es weh tut. Die Knöchel werden weiß, und sein Unterkiefer mahlt in kreisenden Bewegungen, bis das ganze Gesicht schmerzt.
Die Stadteinfahrt macht einen netteren Eindruck, als Hanns vermutet hätte. Seine Hände werden locker, und er gestattet sich den einen und anderen Blick nach links und rechts. Bewegt dabei den Unterkiefer, damit der Krampf nachlässt und das Gesicht wieder in Form kommt.
Zwar stehen hier, wie überall und überall, ein paar Baumärkte und Einkaufsidyllen. Ein Multiplex-Kino kämpft sich gegen Pflanzen-Kölle zur Rechten und Hagebau zur Linken souverän an die Spitze aller Scheußlichkeiten. Aber erträglich ist es trotzdem. Hanns hat schon weitaus |89| schlimmere Städte gesehen. Solche, bei denen man denkt, hier müsste Steven King mal ein Praktikum machen, wenn er jemals was anderes als Maine sehen wollte. Hier müsste er einfach mal an einem Sonntagnachmittag die Autobahnausfahrt nehmen und sich eine Geschichte ausdenken über Leute, deren Fernseher plötzlich anfängt, mit ihnen zu sprechen.
Kannst du noch mal zurück, sagt Daniel und zeigt mit dem Daumen zum Kino. Hanns schaut in den Rückspiegel und nach vorn und geht aufs Gas, um dann gleichzeitig die Handbremse zu ziehen und das Lenkrad rumzureißen. Das Auto, diese Kiste, der niemand mehr etwas zutrauen würde, legt einen sauberen U-Turn hin. Jetzt ist Daniel richtig sauer. Spinnst du, sagt er, spinnst du? Sind wir hier im Film?
Hanns grinst, und zum ersten Mal an diesem Tag fühlt sich alles richtig gut an. Er wird es packen. Er wird hier die Schlagzeilen machen, und die Leute werden ihn fürchten und hofieren. Ist doch egal, wie schäbig die Welt ist, wenn man nur König sein darf. Als er vor dem Kino stehen bleibt, ist Daniel wieder ruhig und steigt aus. Er geht auf das Kino zu und verschwindet hinter Glas. Schwenkt ein bisschen den Hintern beim Laufen, das fällt Hanns zum ersten Mal auf. Habe ich Daniel noch nie von hinten gesehen, fragt er sich, als ob das irgendeine Bedeutung haben könnte. Und dann denkt er wie schon so oft, dass ihm Daniel irgendwie schwuchtelig vorkommt. Allerdings hat er sich bis jetzt noch nicht gefragt, warum ihn das stört. Früher war das anders. Früher. Bin ich blöde, solche Sätze zu denken? Früher war es anders. Welch ein Schwachsinn. Aber nun muss er den Gedanken zu Ende bringen. Früher ist er gern mal in eine Schwulenkneipe rein, weil er mit den Jungs gut reden konnte. Nicht unbedingt über Fußball, aber ein bisschen übers Leben. Das |90| schon. Die Egozentrik, mit der die mehr oder weniger hübschen Kerle übers Leben sprachen, hatte für ihn auch immer etwas Beruhigendes. Die waren so fixiert darauf, ob es ihnen zu Willen sein würde, das Leben. Das hatte ihm gefallen. Manchmal hatte er Ratschläge parat und seinen Senf zu allem gegeben, was da diskutiert wurde. Und die Jungs haben ihm zugehört. So war es doch. Nicht nur das. Sie haben ihn manchmal auch ein wenig hofiert. Vielleicht hoffte der eine oder andere, dass er nicht ganz so festgelegt war, wie es den Anschein hatte. Hanns erinnert sich daran, wie ihm mal einer von den Jungs das Angebot gemacht hatte, es auszuprobieren. Sah verdammt gut aus, der
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