Lokale Erschuetterung
gefragt, wie es mit der Honorierung sei, wo man sich offensichtlich doch mit ihren Ideen hatte anfreunden können.
Wie wollen Sie das denn beweisen, Frau Grabowski, hatte der eine feiste Buddha gefragt.
Sie war so wütend, dass sie Hanns sogar gebeten hatte, etwas Schlechtes über die Sanitätshausbesitzer zu schreiben. Der hatte zum Glück abgelehnt. Und am Ende mag es auch gut gewesen sein, so wie es gelaufen war. Es war einfach eine nützliche, bittere Erfahrung, auf die sie bauen konnte, wenn mal wieder jemand ein Konzept sehen wollte, bevor man über Geld redet.
Veronika schickt eine Mail zurück und sagt zu, drei Vorschläge für neue Vertriebswege zu unterbreiten. Dann packt sie den Brief in eine Klarsichthülle und macht sich auf den Weg zu dem netten Polizisten Martin Wagemut. Im Fahrstuhl fällt ihr ein, dass der ja vielleicht gar nicht da ist. Könnte freihaben oder unterwegs sein. Dann mache ich auf dem Absatz kehrt, denkt Veronika, diese Geschichte erzähle ich niemandem sonst.
Als sie vor die Haustür tritt, stolpert sie fast über einen Wassereimer, der auf dem Gehweg steht. Sie schaut sich um, zu wem der gehören könnte, und sieht die alte Frau aus dem Nachbareingang. Sechste Etage wohnt die, glaubt Veronika, in einer dieser Wohnungen, die eigentlich zu groß für zwei Personen sind. Aber wenn man schon vierzig Jahre drin wohnt, spielt das wohl keine Rolle. Veronika hat einmal mit der Frau gesprochen. An einem der Putztage, die hier im Frühjahr und Herbst veranstaltet werden, um die Anlagen zu pflegen und nett zueinander zu sein. Kann sich heute noch gut dran erinnern. Weil es um Auschwitz ging. Auschwitz passte nicht zu einem bierseligen Putztag mit Bratwurst und Tombola. Die Frau hatte erzählt, dass |102| ihr Mann ein Buch schreiben wolle, über seine Arbeit am Theater. Ein Musiker muss er gewesen sein, Veronika ist sich nicht sicher. Aber sie weiß noch, dass die Frau an irgendeiner Stelle den Satz sagte: Mein Mann war ja auch in Auschwitz. Und dass sie vor allem das
auch
so erschreckt hatte. Es klang, als hätten sich die beiden da kennengelernt. In Auschwitz. Veronika hatte gedacht, es müssten nur noch ein paar Jahre ins Land gehen, dann dächten die meisten Menschen hierzulande bei einem solchen Satz wohl, die beiden Alten hätten sich als junge Menschen in Auschwitz getroffen und ineinander verliebt. Beim Dorftanz oder bei der Arbeit. Auch die Nachbarin hatte keine Erklärung hinterhergeschickt, sondern den Satz einfach so stehen lassen, darauf vertrauend, dass Veronika noch zu der Generation gehört, die Auschwitz nicht mit einem Urlaubsort verwechselt.
Jetzt schrubbt die alte Frau die Kacheln, mit denen die Häuser hier verkleidet sind. In der vergangenen Nacht und in den Nächten davor hatte jemand die hellgraue Keramik bemalt, beschrieben und beschmiert. Veronika hat schon oft Gefallen gefunden an den kleinen Sentenzen, die hier irgendein Mensch in regelmäßigen Abständen niederschreibt. Tu, was wir nicht lassen können, stand letztens neben ihrem Hauseingang. Das fand sie schön. Und geradezu fröhlich gemacht hatte sie der Schüttelreim: Und bringst du Opi Opium, bringt Opium den Opi um. Leider mochte diesen Spaß sonst kaum jemand in der Nachbarschaft. Beide Sprüche waren schnell wieder verschwunden. Die Alte müht sich an Kanaken. Den darauffolgenden Worten hatte sie schon zu Leibe rücken können.
Was stand da, will Veronika wissen.
Kanaken töten ist Bürgerpflicht, sagt die Nachbarin und wischt energisch mit kreisenden Bewegungen über das große, schon leicht verschmierte K.
|103| Wir sollten Anzeige erstatten. Veronika überlegt, ob sie das gleich miterledigen kann bei Martin Wagemut. Sie wird ihn fragen, ob er für solche Sprüche zuständig ist, ob er etwas tun kann dagegen.
Besser wäre, sagt die Nachbarin, als steckte sie in Veronikas Kopf, wir schrieben da unsere eigenen Sprüche drauf. Mein Mann sagt, man muss nur die Plätze besetzen, dann kommt hier keiner mehr, um seinen Mist zu hinterlassen.
Veronika schweigt.
Mein Mann ist so naiv. Er hat noch immer nicht begriffen, welch ein starkes Gefühl der Hass ist. Viel stärker als alles andere, was wir fühlen können.
Wo ist Hanns, der wüsste zu erwidern. Warum sie ihren Mann für einen Experten in Sachen Hass hält, kann sich Veronika nicht erklären. Oder doch, wenn sie ehrlich ist.
Gehen Sie mal, sagt die Nachbarin, die Veronikas Zögern wohl falsch interpretiert. Ich bin hier bald fertig. Ihre Kollegin
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