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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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spüren, wie sein Daumen über ihren Handrücken streicht. Er will mich nur beruhigen, denkt sie. Oder trösten. Bei dem Gedanken fällt ihr ein, dass sie ihn fragen wollte, ob es sich lohnt, eine Anzeige wegen der Sprüche auf den Kacheln am Haus zu erstatten. Sie fragt.
    Er nickt und bückt sich. Holt ein Formular aus einer Schublade und will wissen, ob sie es gleich erledigen möchte. Vielleicht sollte das eher die Verwaltung tun, fragt Veronika. Ich weiß nicht, ob es Sinn hat, wenn ich. Aber dann findet sie sich feige und unentschlossen. Und das hasst sie so an sich, wenn sie unentschlossen ist. Also füllt sie das Formular aus und beantwortet alle Fragen und erstattet offiziell Anzeige gegen Unbekannt. Dann gibt sie dem Polizisten, mit dem sie nach Dienstschluss in einem Café verabredet ist, ein weiteres Mal die Hand und macht sich auf den Heimweg.
    Die Wohnung ist noch leer, aber Hanns hat eine SMS geschickt. Er will gegen sieben da sein und etwas zum Essen mitbringen. Wird er auf einmal häuslich, denkt Veronika. Auf unsere letzten Tage, denkt sie und macht erschrocken halt vor diesem Gedanken. Sie wird ihr Versprechen halten und seine Wochenendbraut sein, wenn er in der Kreisstadt lebt und ihrer beider Dasein fristet. Mitfristet. Sie wird ihn besuchen und ihm jedes Mal etwas Schönes mitbringen. Sie wird nicht mehr bluten, also können sie dann auch zu jeder Zeit ihre Körperteile vermessen. Aber vielleicht, flüstert sie, findet Hanns dort eine andere. Eine mit großen Brüsten und einer funktionierenden Gebärmutter. Eine gebärfähige Tusnelda, die |107| ihm die Abende versüßt und ein Kind schenkt. Eine blöde Kleinstadtschnepfe mit fruchtbarem Schoß.
    Veronika steht im Flur und schafft den Weg ins Wohnzimmer nicht. Ihre Augen sind schon wieder feucht, und bevor aus dem Wasser noch Rotz wird, fängt sie lieber an zu singen.
Sei willkommen, Zwielichtstunde. Dich vor allen lieb ich längst, die du, lindernd jede Wunde, unsre Seele mild umfängst. Nach dem Trennungsschmerz, dem langen, dürfen wir noch einmal nun denen, die dahingegangen, am geliebten Herzen ruhn.
    Veronika summt und singt vor sich hin, wiegt sich leicht hin und her, bleibt einfach stehen im schmalen Flur, der um sie eine dunkle kleine Betonhülle baut. Wartet, dass es vorübergeht.
Sinkt auf uns ein sel’ger Friede
, singt sie, summt die fehlenden Textzeilen weg und wird langsam ruhig. Dann geht sie ins Wohnzimmer und dreht an allen Knöpfen, die ihr Töne und Bilder ins Haus bringen. Bis die Wohnung voll ist mit den sinnlosen Dingen des Lebens. So wartet sie auf Hanns, der etwas zu essen mitbringen wird und, wenn alles gut läuft, die Angst verjagt.

|108| 10. Kapitel
    Hanns kommt zwei Stunden später. Ihm ist übel. Im Darm scheint es wieder zu rumoren und zu grummeln. Hinter den Augen schmerzt es. Er hat schon unterwegs ein Gramm Ibuprofen eingeworfen. Zu viel für einen Tag, aber was soll’s. Die Schmerzen müssen verschwinden, damit er einen guten Abend mit Vroni verbringen kann. Er hat noch eingekauft, inzwischen macht es ihm sogar Spaß. Einkaufen und kochen. In Frankenburg wird er das sowieso tun müssen, wenn er nicht jeden Abend in die Kneipe gehen will. Auf keinen Fall, flüstert Hanns und stellt die Einkaufstüte im Flur ab.
    In der Wohnung ist Halligalli. So hat es seine Mutter immer genannt, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kam und er vergessen hatte, vorher die Musik leisezudrehen. Was ist denn das für ein Halligalli, hatte sie dann gefragt und an allen Knöpfen gedreht. So macht er es jetzt auch. Dreht an allen Knöpfen, und das sind in diesen modernen Zeiten eine ganze Menge. Hanns stellt den Fernsehapparat im Wohnzimmer aus und auch das Radio in der Küche. In Veronikas Zimmer läuft noch der CD-Player. Fassbaender singt die Kindertotenlieder. Laut und klagend. Diese CD wollte er doch schon vor Wochen in den Müll schmeißen. Auch wenn die Frau eine gute Stimme hat, aber er kann es nicht mehr hören, dieses Gegreine über fortgegangene Gören, die nicht mehr heimkehren.
    Veronika sitzt im Sessel und hält ein Buch in den Händen. Wie ein kleines Kind, denkt Hanns. Die liest doch |109| nicht. Zu den Kopfschmerzen kommt wieder die blaue Wut. Hanns nimmt die CD aus dem Gerät und trägt sie in die Küche. Klappt den weißen Mülleimer auf, der aussieht wie ein Schuhschrank, und schmeißt die Scheibe rein. Spuckt drauf und klappt den Schuhschrank wieder zu. Die Wut verschwindet und macht der alten Verzweiflung

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