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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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aus der Zweiten hat auch ein Foto gemacht. Wenn wir doch Anzeige erstatten wollen, dann kann man es wenigstens beweisen.
    Veronika hat keine Ahnung, wer die Kollegin aus der Zweiten sein könnte, aber das mit dem Foto ist gut. Sie wird den Polizisten fragen, wie die Chancen stehen, wenn es ein Foto gibt.
    Ich habe nichts gegen Sprüche an der Wand, sagt die alte Frau plötzlich noch, als wolle sie Veronika von irgendetwas überzeugen. Wissen Sie, was früher an den öffentlichen Toiletten stand?
    Veronika weiß es nicht. Sie weiß nicht mal, welche Zeit die Nachbarin mit früher meinen könnte. Doch nicht die Jahre im Lager. Die doch ganz gewiss nicht.
    Wir bitten, die Kleidung in der Anstalt zu richten. Das stand da. Ist das nicht nett geschrieben? Mir hat es immer |104| gefallen. Die alte Frau lächelt, und Veronika verspürt den Wunsch, sie in die Arme zu nehmen. Sie möchte ihren Kopf auf die schmale Schulter der alten Frau legen und sich trösten lassen. Als wäre es so herum richtig. Ich müsste Trost geben, denkt sie. Aber ich kann nicht. Dann dreht sie sich um und geht. Winkt noch kurz zurück und lässt die Nachbarin mit dem Hass auf grauen Kacheln zurück.
    Martin Wagemut ist da. Und er hat Zeit für Veronika. Nimmt den Brief, nachdem er sich dünne Handschuhe angezogen hat, und liest ihn gleich zweimal. Du willst mich loswerden. Zum zweiten Mal. Dafür gibt es keinen guten Grund. Erinnertest du dich, wüsstest du das.
    Mein Gefühl sagt mir, dass er nichts Böses im Schilde führt, kommt es nach einer kleinen Pause aus seinem Mund.
    Veronika zuckt ein wenig zurück bei dem Satz. Ein Polizist sollte doch wohl nicht nach Gefühl entscheiden. Aber sie muss ihm recht geben. Ihr Gefühl sagt etwas Ähnliches.
    Sechzehn Jahre jünger. Kennen Sie Menschen, die sechzehn Jahre jünger sind als Sie?
    Veronika schüttelt den Kopf und spürt die Übelkeit. Achtundzwanzigjährige gehören nicht zu ihrem näheren Bekanntenkreis. So viel lässt sich sagen. Aber sechzehn Jahre jünger, das macht ein Türchen im Kopf auf, und dahinter wartet eine dunkle Kammer. Seltsamerweise fällt ihr in diesem Moment Daniel ein, der Freund ihres Mannes. Könnte sein, dass der achtundzwanzig ist. Doch zu dem lässt sich kein Bezug herstellen. Außer, dass er Daniel heißt. Sie hat ihn aber noch nie gesehen, und er kennt sie nicht. Höchstens aus den Erzählungen von Hanns.
    Was erzählt der eigentlich von mir, fragt sich Veronika. Wie redet er über mich mit anderen? Sie denkt daran, wie |105| sie kürzlich mit der Gynäkologin über Hanns gesprochen hat. Und dass sie sich hinterher schämte, so schlecht über ihren Mann zu reden, als er nicht dabei war und sich nicht verteidigen konnte.
    Haben Sie Angst, Frau Grabowski, fragt der Polizist. Und schiebt drei Sekunden später den Satz: fürchten Sie sich, Veronika?, hinterher.
    Nein, sagt sie und schaut dem Mann in die Augen. Doch, sagt sie. Ich bin mir nicht sicher. Irgendetwas ist da. Es kommt mir vor wie eine schlechte Erinnerung. Von der ich nichts mehr weiß. Gott, bin ich eine begnadete Lügnerin, denkt sie. Von wem ich das wohl habe?
    Martin Wagemut lächelt. Eine Erinnerung, von der man nichts mehr weiß, ist wohl doch keine. Erinnerung.
    Dann eine Ahnung. Aber wirklich, ich bekomme es nicht zusammen. Und wahrscheinlich ist es auch egal. Der Mann wird sich nicht zu erkennen geben. Da bin ich mir fast sicher. Veronika will den Brief wieder an sich nehmen, aber der Polizist zieht ihn weg.
    Warten Sie, lassen Sie uns noch nicht aufgeben. Ich schlage vor, dass Sie in Ruhe überlegen, ob Sie vielleicht doch einen sechzehn Jahre jüngeren Mann kennen oder einmal kennengelernt haben. Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit dafür. Und dann treffen wir uns noch einmal. Wie wäre es nächste Woche. Dienstag könnte ich nach sechzehn Uhr. Wir müssen es ja nicht offiziell machen, hier in der Wache. Wir können auch.
    Jetzt gehen die Pferde mit ihm durch, denkt Veronika und spürt, wie sie ein bisschen rot wird. Der flirtet wirklich mit mir. Ein Bulle, was das wohl heißt. Gern, sagt sie. Das können wir so machen.
    Im Schönbrunn, will der Polizist wissen, Dienstag halb fünf?
    Ich werde im Schönbrunn einfach einen Tisch für mich |106| und meine Verabredungen reservieren. Da scheinen ja alle wichtigen Dinge zusammenzukommen. Im Schönbrunn. Veronika nickt und gibt dem Polizisten die Hand. Der lässt sich wieder Zeit mit dem Loslassen, und für einen winzigen Augenblick glaubt Veronika zu

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