Lokale Erschuetterung
sicherheitshalber.
Ich suche ein Buch über Amnesie, sagt Veronika und schaut neugierig, was die Frau damit macht.
Ein Fachbuch oder etwas Allgemeinverständliches?
Du hast doch keins von beidem, denkt Veronika und schämt sich dafür.
Eher etwas Allgemeinverständliches.
Die Verkäuferin dreht sich um und geht in einen kleinen Raum, zu dem hinter dem Verkaufstresen eine Tür führt. Kommt wieder raus und hält tatsächlich ein Buch in der Hand. Geheimnisse unseres Gehirns. Hier drin gibt es einen großen Abschnitt über Amnesie, sagt die Verkäuferin. Ich fand es interessant und verständlich aufbereitet. Sie reicht Veronika das Buch über den Tresen und geht wieder zurück zu der alten Frau, die sich noch immer nicht entschieden hat, was für die siebenjährige Charlotte gut sein könnte.
Veronika blättert in dem Buch und freut sich darüber, dass diese Buchhändlerin es ihr gezeigt hat. Der Abschnitt über Amnesie ist tatsächlich ziemlich lang. Zu lang, um ihn schnell mal im Laden zu überfliegen, also kauft sie das Buch und verlässt den Laden. Vielleicht findet sie hier die Lösung ihres Problems. Etwas, auf das sie sich berufen kann. Es wäre doch die einfachste aller Erklärungen. Glaubt Veronika und möchte am liebsten gleich nachlesen. Ob es so geht. Ob es so gewesen sein könnte.
Sie beschließt stattdessen, jetzt sofort in das vielversprechende Geschäft zu gehen. Es heißt Schön und Gut, das gefällt ihr schon einmal. Schön und gut, gut und schön, |131| frank und frei, klar und deutlich, krims und krams. Veronika merkt, dass sie einen Hannsanfall hat. Als es ihnen noch gutging miteinander. Richtig gut. Da hat Hanns seine sprichwörtlichen Anfälle gern laut ausgelebt. Er wusste, dass er sie damit zum Lachen bringen konnte, wenn er endlose Reihen blöder Sprüche und Wörter aneinanderreihen konnte, ohne Luft zu holen oder nachzudenken. Als stünde das ganze Zeug in seinem Kopf Schlange und wartete nur darauf, in richtiger Reihenfolge rausgelassen zu werden. Inzwischen memoriert er lieber still vor sich hin. Sie kann an seinem Gesichtsausdruck erkennen, wenn er das tut, aber er lässt es nicht mehr raus. Schluss und Ende, aus und vorbei, Klappe zu und Affe tot. Veronika läuft im Takt der Worte und steht nach drei Minuten vor Schön und Gut. Gott, sind die Wege hier kurz, denkt sie und öffnet die Ladentür. Ein sanftes Gedingelgedongel geleitet sie in den Verkaufsraum. Die Ladentür braucht eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt.
Im Laden steht ein Mann. Der einzige Mensch hier, und er scheint der Besitzer zu sein. Sortiert an den Kleiderständern Klamotten nach Farbe und summt dabei leise vor sich hin.
Guten Tag, summt er in Veronikas Richtung, ohne die Melodie aufzugeben, die er sich ausgesucht hat zum Arbeiten.
Guten Tag. Veronika wartet, ob ihr sofort die Frage gestellt wird, was sie wünscht. Sie hasst diese Frage, aber man entkommt ihr nicht. Besser, man hat einen unerfüllbaren Wunsch parat, um die Situation zu meistern und die Verkäuferin abzuwimmeln. Ich suche ein malvenfarbenes Seidenkleid, ein silbernes Top mit auf dem Rücken gekreuzten Trägern, eine blassviolette Marlenedietrichhose. Ihr ist egal, ob ein solches Begehr für oder gegen ihren Geschmack spricht. Hauptsache, sie hat erst einmal |132| Ratlosigkeit erzeugt, auf die dann meist Rückzug erfolgt. Erst dann kann sie sich in Ruhe umschauen.
Der Mann hier sortiert einfach weiter Klamotten nach Farben und kümmert sich nicht um sie. Beachtlich. Veronika fegt mit den Fingern durch die Angebote. Fühlt Stoffe und schaut nach Farben. Preise sind nirgendwo zu sehen. Das nenn ich Grandezza, denkt sie und fragt sich, ob es dem Mann wirklich gefällt, dass jede erste Frage, die ihm hier gestellt wird, wahrscheinlich lautet: Was soll das denn kosten? Sie greift nach einem schwarzen Kleid und schaut, ob es ein Versprechen enthält. Mindestens eins, denkt sie und dreht sich zu dem Mann um.
In diesem Kleid, das verspreche ich Ihnen, werden sie grandios aussehen. Der Mann kommt auf sie zu, und wie er geht und dabei leicht den Hintern schwingt, bietet er Veronika alles, was sie braucht, um schwul zu denken. Sie hasst sich dafür, aber es ist wie eine Naturgewalt. Schwule und Russinnen erkennt sie auf hundert Meter Entfernung. Alle Vorurteile, von denen die meisten erträglich und nicht schlecht gemeint sind, stimmen. Glaubt sie. Wahrscheinlich sortiert sie im Kopf alle ihre Irrtümer immer ordentlich aus, dass die nicht den
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